Der Name Der Dunkelheit
lächelte.
»Vielleicht noch in Äther getränkte Erdbeeren dazu?«
»Nein, danke.«
Beim ersten Schluck kniff Hulda die Augen zusammen. Henning seufzte vor Erleichterung. Er hatte alles darauf gesetzt, dass sie nach dem ersten Schluck aufgab und sich einen Weihnachtspunsch bestellte. Für das Trinken besaß sie kein Talent, das war klar.
Er setzte ein morgenländisches Grinsen auf. »Und?«
»Wie Zahnpasta. Sonst eigentlich ganz gut.«
Henning genoss die warme Sympathie, die ihm der Grog entgegenbrachte. »Warum ausgerechnet Absinth?«
»Ich muss eine Reihe von Dingen herausfinden.« Hulda sprach nicht weiter. Anscheinend lenkte sie der Barkeeper ab. Er hantierte direkt vor ihnen. Sobald er sich abwandte, glitt Hulda vom Hocker. Der Barkeeper hatte ihnen nur einige Sekunden lang den Rücken zugewandt. Dennoch bekam er nicht mit, wie Hulda die Bar umrundete, eine seiner Schubladen aufzog, eine Tüte mit Erdnüssen herausnahm und zugleich nach einer Schale griff. Etwa sieben Sekunden später stand der Barkeeper wieder vor ihnen, doch zu diesem Zeitpunkt saß Hulda längst auf ihrem Hocker.
»Ich habe uns Erdnüsse besorgt«, flüsterte sie.
»Ich weiß«, flüsterte Henning zurück. Er hatte ja direkt davor gesessen und alles mit angesehen. Hulda musste den Mann
vorher genau studiert haben. Nur so hatte sie wissen können, dass er genau sieben Sekunden brauchen würde, um drei Meter entfernt eine Zitrone in Streifen zu schneiden und zurückzukommen. Noch mehr beeindruckte ihn ihre Entschlusskraft und die Seelenruhe, die Sache genau so durchzuziehen, wie sie es sich vorgenommen hatte. Daran scheiterten Kriminelle meist. Sie aber hatte das Zeug für große Coups, einen Eisenbahnraub zum Beispiel. Was wäre geschehen, wenn der Barkeeper sich nicht an ihren Zeitplan gehalten hätte?
Henning Larsson schwieg eine Weile und nippte an seinem Grog. »Mein Kollege behauptet, du hast große Pläne.«
»Man sollte immer große Pläne haben.«
»Dich bringt nichts aus der Fassung, oder?«
»Was sollte das auch sein?« Hulda verzog ihren Mund.
»Zum Beispiel das hier.« Henning hob seinen Hintern vom Hocker, beugte sich über die Theke und steckte seine Hände in den Kübel mit den Eiswürfeln. Ohne hinzusehen, klimperte er laut mit den Fingern darin herum. Als er die Hände wieder herauszog, steckte auf jedem Finger ein Eiswürfel.
Huldas Augen weiteten sich. »Wie machst du das?«
»Die haben an einer Seite ein Loch. Die Eismaschine macht die hinein.«
Das war Hulda durchaus klar. Die Schwierigkeit lag darin, mit jeder Fingerkuppe ein solches Loch zu erreichen.
Sie legte sich mit dem Bauch auf die Theke und steckte ihre Hände in den Kübel. Sie klimperte lange, doch als sie die Hände herauszog, hatte sie nur einen einzigen Eiswürfel erwischt. Und der fiel gleich wieder hinunter. »Es muss an deinen Fingern liegen. Die sind dicker.«
Das war natürlich keine befriedigende Erklärung. Er sah ihr an, wie es sie zermürbte. »Zehn Eiswürfel«, erklärte Henning ruhig. »Jeder hat sechs Seiten, aber nur an einer ist ein Loch. Mit einem Trick ist das nicht zu schaffen. Ich habe lange
in einem japanischen Kloster gelebt, bis ich es so weit gebracht habe.«
Hulda lachte. Sie mochte unverschämte Lügengeschichten. In Wahrheit verdankte er alles seiner Spielernatur. Zum Glück kam sie nicht auf den Einfall, es ihn ein zweites Mal vorführen zu lassen. Zu seiner Erleichterung war sie sogar so naiv, es selbst noch einmal zu versuchen. Diesmal erwischte sie gar keinen Eiswürfel und gab auf.
Das war für Henning der richtige Augenblick. »Deine Schwester sorgt sich um dich. Angeblich bist du nächtelang verschwunden. Und das bei der Kälte.«
»Zur Zeit wohne ich bei einem Stukkateur.«
Henning lief es kalt den Rücken herab. »Bei einem Mann?«
»Da ist nichts dabei. Er ist gar nicht da und hat mir seine Wohnung zur Verfügung gestellt. Sie ist sehr schön, und au ßerdem habe ich dort meine Ruhe vor Fredrik.«
Henning wurde abgelenkt. Soeben betrat ein Mann das Lokal. Er war in Begleitung einer Frau, die er in einem Rollstuhl vor sich herschob. Offenkundig beschränkte sich ihre Lähmung auf den Unterleib. Obwohl sie die Arme bewegen konnte, musste der Mann ihr helfen, den Rollstuhl über die Schwelle zu heben.
Hulda bekam mit, wie Henning das Paar anglotzte, als hätte er noch nie einen Rollstuhl gesehen.
»Die tote Frau, die wir am Strand gefunden haben, brauchte auch einen Rollstuhl«, erklärte
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