Der Name Der Dunkelheit
Österreich führte, stieg Linda wieder in den Zug. Städte, an denen sie vorbeigekommen war: Nürnberg, Kassel, Hamburg, Odense, Kopenhagen, Malmö. Von dort wegen des Schnees an der Ostküste entlang nach Göteborg und dann nach Stockholm.
»Und in ganz Mitteleuropa gab es kein Telefon?«
Ida stelle sich die Sache viel zu einfach vor, behauptete Linda.
Vor allem hatte ihr Besuch ja eine Überraschung werden sollen. Später dann, als die Batterie ihres Telefons leer war, hatte sie beim Umsteigen nie genug Zeit gehabt, um eine Telefonkarte zu kaufen und zu telefonieren.
»Es wäre dennoch besser gewesen, du hättest vor deiner Abfahrt Bescheid gesagt. Dein Vater hätte sich genauso gefreut. Dir muss doch klar gewesen sein, dass er dich am Weihnachtsabend anruft.«
»Ich werde bald zwanzig und lebe tausend Kilometer von hier entfernt. Natürlich kann ich nicht dauernd anrufen und mitteilen, was ich vorhabe.«
»Zweitausend Kilometer. Du lebst zweitausend Kilometer von hier entfernt.«
»Das verdoppelt die Sache.« Linda riss den Hörer vom Telefon und führte ein zweiminütiges Telefonat mit ihrem Vater.
»Ist er aus der Haut gefahren?«, fragte Ida nach dem Auflegen.
»Überhaupt nicht«, antwortete Linda. »Er war erleichtert. Jetzt kommt er wieder nach Hause.«
45
Kullgren hatte seine Hände wie bei einer Neujahrsansprache auf seinem Schreibtisch liegen und betrachtete den Bildschirm. Nach einer Weile hob er den Kopf und musterte das Gesicht von Tholander, der auf dem Besucherstuhl saß. »Das kann jede hagere Schwarzhaarige sein, wenn du mich fragst.«
Tholander hatte Verständnis für geheuchelte Zweifel und forderte seinen Chef mit einem Wink auf, zum nächsten Ausschnitt zu wechseln. Da war es Tag geworden, und die Sonne schien frontal auf die Fensterfront. Sofi Johansson stand nackt vor einem riesigen Fenster.
»Wie hast du das aufgetrieben?«
»Berns Hotel. Nachdem Johansson gegangen war, hat sich Bertil vor das Hotelzimmer gesetzt und gewartet, bis jemand herauskommt. Er heißt Joakim Karlström. Bertil ist ihm bis zu seiner Wohnung gefolgt.«
»Etwa der Joakim Karlström?«
»Wir wussten von der Überwachung der Bezirkspolizei für die Wirtschaftsfahndung. Die haben uns das Video gegeben.«
»Dann arbeitet sie für Annerbäck.«
»Nähä, das war keine Arbeit. Das Gegenteil, wenn du mich fragst.«
Tholander konnte natürlich am Gesicht seines Chefs ablesen, dass der ihn das gar nicht fragte. Kullgren musste erst etwas in seinem Inneren aufräumen, bevor er die nächste Frage stellte.
»Wie lange geht das schon?«
»Vor dem Fünfundzwanzigsten taucht sie nicht in der Überwachung auf.« Eine kurze Stille trat ein. »Verstehst du?«
»Jaja. Die Annerbäck-Ermittlung kenne ich. Haben wir selbst etwas über Karlström?«
»Das haben wir. Letztes Jahr hat er Lumir im Nordic Light Hotel zum Brunch getroffen. Lumir war damals gerade dabei, den Stockholmer Teil der Gunnar-Struktur zu übernehmen.«
Kullgren stellte seinen Generaldirektorensessel auf Stufe zwei und sah zur Decke seines Büros. Das war ein kindischer Reflex, mit dem er versuchte, sich Tholanders Blick zu entziehen.
Er hatte die Sache völlig falsch eingeschätzt. Theresa hatte die richtigen Akten herausgesucht, und Tholander hatte wie eh und je den richtigen Riecher gehabt. Es ging um organisierte Kriminalität. Die Gunnar-Struktur war jahrelang Skandinaviens umsatzstärkste und mächtigste Organisation gewesen, deren kriminellem Treiben die Polizei hilflos hatte
zusehen müssen. Gunnar war ein perfides System ohne Informationsrückfluss und mit völliger Anonymität gewesen. Einen Dealer, einen Zuhälter oder selbst Personal aus dem mittleren Management zu verhaften, hatte keine Erkenntnis darüber gebracht, wer an der Spitze dieses Systems stand, bis vor zweieinhalb Jahren ausgerechnet Cederström und seine Reichskrim auf den Kopf dieses Netzes stießen. Gunnar himself. Wie immer war Cederström der Erfolg durch reinen Zufall und unverdient zugefallen. Er hatte nach der verschwundenen Tochter des Justizkanzlers gesucht, war also einer seiner erbärmlichen Mordgeschichten nachgegangen, und hatte am Ende die größte kriminelle Organisation nördlich der Ostsee ausgeknipst. By the way. Zur Abwechslung hatte die schwedische Polizei einmal nicht kopflos ihre Chance verstreichen lassen und dreihundert Berufskriminelle aus dem Verkehr gezogen. Das Machtvakuum hatte sich schnell wieder gefüllt, doch die Banden, die jetzt auf
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