Der Name Der Dunkelheit
wurde, desto mehr zog sie sich wie zum Ausgleich zurück. Der Umgang mit ihr war wie ein unklarer Pfad im Wald.
50
Kjell erwachte in völliger Dunkelheit und konnte sich erst mit einiger Mühe daran erinnern, dass er sich auf der Ruheliege im Aktenzimmer befand. Er schlüpfte in seine Schuhe und sah auf die Uhr. Schon drei.
Als die beiden Damen vor einigen Stunden begonnen hatten, sich die Langeweile mit einem Pokerspiel zu vertreiben, hatte er sich hingelegt.
Er trank ein Glas Leitungswasser und machte sich dann durch den gesamten sechsten Stock auf zum Büro von Lis Viklund. Im Vorzimmer stieß er in der Dunkelheit die Stehlampe um und stolperte.
»Warum macht ihr kein Licht, verdammt?«
Barbro und Snæfríður standen vor dem Teleobjektiv.
»Jeder weiß, dass die drei letzten Fenster im Sechsten das Büro des Reichskriminalchefs sind«, sagte Barbro.
Doch leider sah man Viklunds Hauseingang nur von hier. Bei allen anderen Fenstern in diesem Gebäude versperrte der Park den Blick. Denn obwohl er gerade einmal die Fläche eines Häuserblocks umfasste, erhob er sich in der Mitte zu einem veritablen Hügel voll von Bäumen.
Barbro löste ihr rechtes Auge vom Okular. »Wir haben ein Problem«, sagte sie. »Theresa antwortet nicht mehr.«
Kjell trat näher. »Habt ihr jemand ins Haus gehen sehen?«
»Vermutlich ist sie eingeschlafen«, erklärte Snæfríður. »Wir überlegen, ob wir jemand von der Brandwache hinüberschicken sollen, aber es sind neun Meter quer über die Straße. Und der Hauseingang ist gut beleuchtet.«
Kjell hatte immer noch nicht alle Zipfel seines Hemdes in die Hose gestopft. Er wollte selbst durch das Objektiv schauen. Sein Blick schwenkte über den Park. »Darf ich eine Frage stellen? Der Park ist rechteckig und nimmt die Fläche eines Häuserblocks ein.« Die beiden Frauen sahen ihn erwartungsvoll an. »An der gesamten Ostseite entlang verläuft das Polizeigebäude. Lis wohnt gegenüber an der Westseite. West, Süd und Nord sind Wohnhäuser.«
Barbro seufzte. »Worauf willst du hinaus?«
»Ihr geht davon aus, dass der Mörder die Stelle, an der er die nächste Leiche ablegen will, genau beobachtet.«
»Die Gefahr besteht.«
»Aber von welcher Stelle aus?«
»Wir wissen es nicht.«
»Sieh aus dem Fenster«, sagte Kjell. »Siehst du da draußen irgendeine Stelle, von der aus man den Park und das Haus beobachten kann, ohne entdeckt zu werden?«
Snæfríður sah verdutzt auf den viereckigen Park und die drei Häuserzeilen darum herum. Die vierte Seite nahm das Polizeigebäude ein. Der Park selbst kam bei dieser Kälte nicht in Frage, und auch die geparkten Autos waren alle leer. Eine Kollegin war vor zwei Stunden mit einem geliehenen Köter ums Karree gelaufen und hatte jedes einzelne kontrolliert. »Wir hatten etwas mit mehr Raffinesse im Blick«, sagte Snæfríður. »Patrouillierende Autos oder Kameras. Jedenfalls glauben wir, dass die Leiche erst im richtigen Moment zur Stelle gebracht wird.«
»Das Strandbad hätte ebenso unwahrscheinlich und schwierig gewirkt«, erwiderte Barbro auf Kjells skeptischen Blick. »Und auch den Eingang der Sofiakirche kann man nur beobachten, wenn man sich im Park in einem Gebüsch versteckt. In dieser Nacht war es ebenso kalt.«
Snæfríður nickte. »Du machst einen Denkfehler, Kjell. Du gehst davon aus, dass der Mörder von uns weiß. Dazu hat er aber keinen Grund. Er wird wie bei den beiden Malen zuvor irgendwann hier aufkreuzen, die Leiche ablegen und verschwinden.«
Kjell nickte. Eigentlich war es etwas anderes, was ihn an diesem Ort störte. Er passte nicht ins Gesamtbild.
»Hast du die Lageeinschätzung der Gegengruppe gelesen?«, fragte Barbro.
»Über die Gunnar-Bande? Von der ist doch ohnehin nicht mehr viel übrig. Was sollte die von uns wollen?«
»Von uns nichts, aber von der Reichskrim. Viklund hat die Ziele der Reichskrim neu gesteckt. Von nun an kämpfen wir als Bundespolizei gegen das organisierte Verbrechen. Wenn jemand ein Motiv hat, Viklund zu beseitigen, dann die.«
Auf einmal wusste Kjell, was hier nicht stimmte. »Mich stört eher der Charakter des Ortes. Hier gibt es überall Fenster. Am Strandbad war im Hintergrund nur Wald und im Vordergrund
der Fjord. Bei Judit Juholt die Sofiakirche. Sie liegt mitten im Park. Das waren ganz leichte Stellen. Die hier ist schwer.«
»Der Hinweis kam von der Sekretärin«, erwiderte Barbro. Sie klang ein wenig gekränkt. »Lis Viklund sitzt morgens, mittags und abends eine
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