Der Name Der Dunkelheit
verließen die beiden das Gebäude durch den Hauptausgang. Das war die zweitbeste Zeit, die ein Mitarbeiter aus dem sechsten Stock je erreicht hatte. Weit hatten sie es nicht. Die Station von Norrmalm lag nämlich aus Verwaltungsgründen gar nicht in Norrmalm, sondern in Kungsholmen, genauer gesagt, direkt hinter der nächsten Ecke in der Kungsholmsgatan.
»Die andere Seite muss den Treffer auch bemerkt haben«, überlegte Henning genau auf Höhe der Ecke und stieß dabei Dampfwolken in die Abendluft.
»Vielleicht nicht«, überlegte Kjell. »Die können unsere Akten nicht einsehen. Ich weiß nicht, ob sie eine Meldung bekommen.«
Obwohl der Samstagabend ganz jung war, tummelten sich mehr Menschen vor der Theke der Wache als vor der des Kvarnen. Kjell bekam die rezeptionsführende Polizistin zu fassen und erklärte sein Anliegen. Sie musste auf ihrer Liste nachsehen und blickte sich dann unsicher um. Die Räume hinter der Theke hatten alle Glastüren.
»Die sind im Verhör.«
»Das Verhör wird abgebrochen. Das hier hat Reichskrimstatus.«
Die Polizistin öffnete die dritte der acht Türen und sprach mit den Leuten darin. Ein Mann in Zivil kam heraus.
»Nach unserer Information habt ihr ein junges Mädchen mit dem Namen Hulda Júpítersdóttir aufgegriffen«, sagte Kjell.
»Aufgegriffen ist gut! Wir haben sie im Nationalmuseum verhaftet. Sie ist dort eingebrochen.«
Kjell und Henning sahen sich an, hatten sich aber nichts zu sagen. Henning trat eine Winzigkeit vor, um anzudeuten, dass er die Führung dieses Gesprächs übernahm.
»Und jetzt verhört ihr sie?«
Der Mann nickte. »Wir sind noch dabei.«
»Sie ist noch nicht fünfzehn. Das weißt du?«
»Für sie gilt das Ausländerrecht. Wir sind erst dabei, ihre Identität zu klären.«
»Was ist eigentlich passiert?«, unterbrach Kjell.
Das Museum hatte vor vier Stunden geschlossen. Vor einer Stunde hatte der Nachtwächter das Mädchen im ersten Stock erwischt. Henning schnappte erstaunt nach Luft, weil Hulda ihren Meister ausgerechnet in einem Greis gefunden hatte. Der Nachtwächter war bald siebzig.
Zwar sah es nicht so aus, als wollte Hulda das Nationalmuseum bestehlen, zumal es dort ohnehin nichts von großem Wert gab, aber anscheinend betrachtete der Polizist Huldas Festnahme als erfolgreichen Schlag gegen eine Serientäterin. Er holte eine Frau aus seinem Büro.
»Das ist Birgitta Gullnäs von der Museumsverwaltung. Sie erhebt Vorwürfe gegen das Mädchen, weil es sich offenbar auch Zutritt zur Wohnung des Stukkateurs verschafft hat.«
Diesmal hatte Henning etwas zu sagen. »Das war mir bekannt. Sie hat mir neulich erzählt, dass sie vorübergehend bei diesem Stukkateur wohnt. Aber der hatte nichts dagegen.«
Kjell erkannte, dass Henning einen Fehler machte.
»Das kann er auch schlecht«, erklärte Birgitta Gullnäs. »Er ist nämlich seit einem Jahrhundert tot.«
»Ach ja?«
»Ja! Die Stukkateurswohnung ist ein Museum. Sie ist im Originalzustand von 1880 erhalten. Jeden Freitagabend veranstaltet das Stadtmuseum dort eine Führung. Das Mädchen hat dort von Mittwoch bis Freitag gewohnt, den Ofen von 1880 mit Holzkohlen aus dem Supermarkt angefeuert, in der Emaillebadewanne von 1880 gebadet und im Bett von 1880 geschlafen.«
Birgitta Gullnäs war empört und neigte in diesen Momenten anscheinend zu Sarkasmus.
»Hulda hat es faustdick hinter den Ohren«, flüsterte Henning.
»Welcher Schaden ist entstanden?«, fragte Kjell die Frau.
»Schaden? Alles musste gereinigt und aufgeräumt werden! Wir reden seit einer Stunde auf sie ein, aber sie versteht ja kaum ein Wort Schwedisch!«
Henning grinste.
»Wir nehmen Hulda mit«, bestimmte Kjell.
»Dienstliche Anweisung«, ergänzte Henning und zeigte seinen Polizeiausweis.
Hulda trug ihren gelben Regenmantel, der ihr in ihrer Rolle als hilfloser Ausländerin zugutekam. Ohne Regung verließ sie mit Henning und Kjell die Wache.
Kjell schwieg, bis sie die Ecke erreichten. »Hast du etwas zugegeben?«
»Ich habe mich verirrt und den Ausgang nicht mehr gefunden«, sagte sie.
61
Sofi Johansson wunderte sich, warum auf der Treppe heute kein Licht brannte. Auf halber Höhe blieb sie stehen und vergewisserte sich, dass sie sich nicht in der Zeit irrte. Am Samstag
kamen nur die alleinstehenden Frauen, die ihre Libido endgültig aufgegeben hatten. Die anderen standen um diese Zeit zu Hause vor dem Spiegel und schminkten sich für den Abend. Deshalb war alles ein wenig anders als an Wochentagen.
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