Der Name der Rose
beinahe, als wäre, was ich hier geschrieben habe und was du nun liesest, mein unbekannter Leser, nichts anderes als ein Flickwerk, ein großes Figurengedicht, ein immenses Akrostichon, das lediglich wiederholt, was jene Fragmente mir eingegeben, und ich weiß nicht einmal mehr, ob ich es war, der hier gesprochen hat, oder ob nicht vielmehr sie durch meinen Mund gesprochen haben.
Doch welcher der beiden Glücks- oder Zufälle sich auch ereignet haben mag, je öfter ich mir die Geschichte vergegenwärtige, die dabei herausgekommen ist, desto weniger vermag ich zu erkennen, ob sie etwas enthält, das über die natürliche Abfolge der Ereignisse und die sie verbindenden Zeiten hinausweist. Und es ist hart für einen greisen Mönch an der Schwelle des Todes, nicht zu wissen, ob die Lettern, die er geschrieben hat, einen Sinn enthalten, oder auch mehr als einen, viele gar, oder keinen.
Doch vielleicht ist diese meine Blindheit auch nur die Folge des Schattens, den die näherkommende Große Finsternis auf unsere vergreiste Welt wirft.
Est ubi gloria nunc Babylonia? Wo ist der Schnee vom vorigen Jahr? Die Welt tanzt den schaurigen Tanz des Macabre, mich dünkt zuweilen, die Donau sei voller Narrenschiffe auf der Fahrt in ein dunkles Land.
Mir bleibt nur zu schweigen. O quam salubre, quam iucundum et suave est sedere in solitudine et tacere et loqui cum Deo! Bald schon werde ich wiedervereint sein mit meinem Ursprung, und ich glaube nicht mehr, daß es der Gott der Herrlichkeit ist, von welchem mir die Äbte meines Ordens erzählten, auch nicht der Gott der Freude, wie einst die Minderen Brüder glaubten, vielleicht nicht einmal der Gott der Barmherzigkeit. Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier . . . Ich werde rasch vordringen in jene allerweiteste, allerebenste und unermeßliche Einöde, in welcher der wahrhaft fromme Geist so selig vergehet. Ich werde versinken in der göttlichen Finsternis, in ein Stillschweigen und unaussprechliches Einswerden, und in diesem Versinken wird verloren sein alles Gleich und Ungleich, in diesem Abgrund wird auch mein Geist sich verlieren und nichts mehr wissen von Gott noch von sich selbst noch von Gleich und Ungleich noch von nichts gar nichts. Und ausgelöscht sein werden alle Unterschiede, ich werde eingehen in den einfältigen Grund, in die stille Wüste, in jenes Innerste, da niemand heimisch ist. Ich werde eintauchen in die wüste und öde Gottheit, darinnen ist weder Werk noch Bild . . .
Kalt ist's im Skriptorium, der Daumen schmerzt mich. Ich gehe und hinterlasse dies Schreiben, ich weiß nicht, für wen, ich weiß auch nicht mehr, worüber: Stat rosa pristina nomine, notnina nuda tenemus .
311
Der Name der Rose – Epilog
312
Anhang
313
314
Der Name der Rose – Anhang
Übersetzung der wichtigsten lateinischen Passagen
S. 7
In omnibus . . . : In allem habe ich Ruhe gesucht und habe sie nirgends gefunden, außer in einer Ecke mit einem Buch.
S. 11
videmus nunc . . . : Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem Rätsel (Paulus, 1. Kor. 13, 12).
S. 12
usus facti : Nießbrauch
S. 14
unico homine regente : von einem einzigen Menschen gelenkt
S. 14
ut sine animali . . . : (die so konstruiert sind) daß sie ohne ein Lebewesen mit unermeßlichem Schwünge bewegt werden, und Instrumente zum Fliegen mit einem Menschen, sitzend
inmitten von Instrumenten, den Geist darauf gewandt, daß künstliche Flügel die Luft schlagen nach Art des fliegenden Vogels.
S. 20
Omnis mundi creatura . . . : Jedes Geschöpf der Welt ist für uns gleichsam ein Buch und Gemälde und Spiegel.
S. 20
ut sit exiguum . . . : daß der Kopf schmal sei und trocken bei dicht auf den Knochen liegendem Fell, die Ohren kurz und spitz, die Augen groß, die Nüstern geöffnet, der Nacken aufgerichtet, Mähne und Schweif dicht, die Rundung der Hufe solide und fest.
S. 27
Eris sacerdos . . . : Du wirst Priester in Ewigkeit sein.
S. 28
Monasterium sine libris . . . : Ein Kloster ohne Bücher ist wie ein Staatswesen ohne Habe, eine Festung ohne Truppen, eine Küche ohne Geschirr, ein Tisch ohne Speisen, ein Garten ohne
Pflanzen, eine Wiese ohne Blumen, ein Baum ohne Blätter.
S. 31
pictura est . . . : die Malerei ist die Literatur der Laien.
S. 34
si licet magnis . . . : wenn es erlaubt ist, Kleines mit Großem zu vergleichen
S. 38
qui per mundum . . . : der als Vagabund durch die Welt zieht
S. 40
homo nudus . . . / Et non . . . : Der Mann lag nackt bei der Nackten. / Und
Weitere Kostenlose Bücher