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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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nicht mehr länger warten.
    »Bist du sicher?«, fragte Sim. »Ich habe dort schon Leute gehört, die wirklich gut waren. Anfang des Trimesters sang ein alter Mann dort ein Lied über … über diese Frau, deren Mann in den Krieg gezogen war.«
    »›In der Dorfschmiede‹«, sagte ich.
    »Wie auch immer. Was ich sagen wollte: Er war wirklich gut. Ich habe gelacht und geweint.« Er sah mich besorgt an. »Und er hat kein Abzeichen gekriegt.«
    Ich kaschierte meine Besorgnis mit einem Lächeln. »Du hast mich noch nie spielen gehört, nicht wahr?«
    »Das weißt du doch ganz genau«, erwiderte Sim gereizt.
    Ich lächelte. Ich hatte mich geweigert, Wilem und Simmon etwas vorzuspielen, solange ich außer Übung war. Ihre Meinung war mir fast so wichtig wie die des Eolian .
    »Nun, dann hast du ja bald die Gelegenheit«, sagte ich. »Wirst du kommen?«
    Simmon nickte. »Wilem auch. Es sei denn, es gibt ein Erdbeben, oder es regnet Blut.«
    Die Sonne ging schon unter. »Ich muss los«, sagte ich und stand auf. »Übung macht den Meister.«
    Sim winkte mir nach, und ich ging in die Mensa, wo ich einen Klacks Bohnen und ein zähes Stück Fleisch aß. Mein Brot nahm ich mit, was mir verwunderte Blicke von einigen Studenten eintrug.
    Ich ging zu meinem Schlafplatz und holte die Laute aus der Truhe am Fußende meines Betts. Angesichts der Gerüchte, von denen Sim gesprochen hatte, wählte ich einen nicht ganz einfachen Weg auf das Dach des Hauptgebäudes und kletterte in einer abgelegenen Sackgasse über eine Reihe von Regenrohren hinauf. Ich wollte keine weitere Aufmerksamkeit auf meine abendlichen Aktivitäten dort lenken.
    Als ich in den abgelegenen Hof mit dem Apfelbaum kam, war es schon dunkel. In keinem Fenster war mehr Licht zu sehen. Von der Dachkante schaute ich in den Hof hinab und erblickte nur Schatten.
    »Auri!«, rief ich. »Bist du da?«
    »Du kommst spät«, erscholl die leicht bockige Antwort.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich. »Möchtest du heute abend zu mir heraufkommen?«
    Eine kurze Pause. »Nein. Komm du herunter.«
    »Der Mond scheint heute nicht hell«, sagte ich in einem möglichst ermutigenden Tonfall. »Möchtest du nicht vielleicht doch zu mir heraufkommen?«
    Ich hörte es unten in der Hecke rascheln, und dann sah ich Auri flink wie ein Eichhörnchen den Apfelbaum erklimmen. Sie lief an der Dachkante entlang und blieb ein gutes Stück von mir entfernt stehen.
    Wahrscheinlich war sie etwas älter als ich, aber allerhöchstens zwanzig. Sie trug zerlumpte Kleider, die ihre Arme und Beine bloß ließen, und war gut einen Kopf kleiner als ich. Sie war zierlich und hatte eingefallene Wangen und dünne Arme. Und ihr langes Haar war so fein, dass es wie eine Wolke in der Luft stand.
    Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis es mir gelungen war, sie aus ihrem Versteck zu locken. Ich hatte vermutet, dass mir jemand vom Hof aus beim Üben zuhörte, aber dann hatte es noch zwei Spannen gedauert, bis ich endlich einen Blick auf sie erhaschte. Als ich sah, dass sie halb verhungert war, brachte ich Essen aus der Mensa mit aufs Dach und deponierte es dort für sie. Trotzdem brauchte es noch eine weitere Spanne, bis sie sich zu mir gesellte, während ich dort oben übte.
    In den vergangenen Tagen hatte sie sogar angefangen, mit mir zu sprechen. Ich hatte erwartet, dass sie mürrisch und misstrauisch sein würde, aber eher das Gegenteil war der Fall. Sie war putzmunter und arglos. Und obwohl sie mich jedesmal, wenn ich sie sah, unweigerlich an mich selbst in meiner Zeit in Tarbean erinnerte, gab es da kaum Gemeinsamkeiten. Auri war stets blitzsauber und voller Lebensfreude.
    Sie war nicht gern unter freiem Himmel, mochte kein helles Licht und keine Menschen. Ich nahm an, dass sie als Studentin einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte und in den Untergrund geflohen war, bevor man sie in die Irrenanstalt einweisen konnte. Ich hattenoch nicht viel über sie erfahren, denn sie war immer noch sehr scheu. Als ich sie einmal nach ihrem Namen fragte, lief sie fort und kam tagelang nicht wieder.
    Also suchte ich einen Namen für sie aus – Auri. Doch insgeheim nannte ich sie meine kleine Mondfee.
    Auri kam ein paar Schritte näher, verharrte und kam wieder ein paar Schritte näher. Das machte sie ein paar Mal, bis sie schließlich vor mir stand. Sie hielt mir beide Hände auf Kinnhöhe hin. Dann zupfte sie mich am Ärmel und zog die Hand schnell wieder zurück. »Was hast du mir mitgebracht?«, fragte sie aufgeregt.
    Ich

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