Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Zähne zusammen und konzentrierte mich auf mein Spiel. Meine Neugier schob ich beiseite.
    Und wir sangen! Ihre Stimme war wie brennendes Silber und meine Stimme die Antwort darauf. Savien sang kraftvolle Verse, wie die Äste einer uralten Eiche, und Aloines Gesang glich einer Nachtigall, die diese stolzen Äste graziös umflattert.
    Ich war mir des Publikums jetzt nur noch vage bewusst und spürte kaum den Schweiß auf meiner Haut. So sehr war ich in meine Musik versunken, dass ich nicht hätte sagen können, wo sie endete und ich begann.
    Doch das Ende kam – in der vorletzten Strophe. Als ich den ersten Akkord spielte, hörte ich ein durchdringendes Geräusch, das mich aus der Musik herausriss wie eine Angelschnur einen Fisch aus dem Wasser.
    Eine Saite war gerissen. Von der Bruchstelle oben am Hals peitschte sie mir über den Handrücken und hinterließ einen blutigen Striemen.
    Ich starrte die Saite an. Sie hätte nicht reißen dürfen. Keine meiner Saiten war so abgenutzt, dass die Gefahr bestand, dass sie riss. Aber dennoch war es geschehen, und während die letzten Töne des Lieds verhallten, spürte ich, wie sich das Publikum regte. Es begann aus dem Wachtraum, in den ich es mit meinem Lied versetzt hatte, zu erwachen.
    In dieser Stille fiel für mich alles auseinander: Das Publikum erwachte, obwohl der Traum noch nicht zu Ende war, und mein ganzes Werk war zunichte gemacht. Und die ganze Zeit brannte in mir das Lied, das Lied, das Lied!
    Ohne zu wissen, was ich da tat, legte ich die Finger wieder auf die Saiten und versenkte mich tief in mich selbst. Ich tauchte in die Jahre hinab, als meine Hände noch steinharte Schwielen gehabt hattenund mir das Musikmachen so leicht gefallen war wie das Atmen. Ich tauchte hinab in die Zeit, als ich auf einer Laute mit nur sechs Saiten nachgespielt hatte, wie der Wind ein Blatt trudeln ließ.
    Und ich begann wieder zu spielen. Erst langsam, dann, als meine Finger sich erinnerten, immer schneller. Ich sammelte die einzelnen Fäden des Liedes ein und verwob sie wieder zu dem, was sie kurz zuvor noch gewesen waren.
    Es war nicht perfekt. Ein so hochkomplexes Lied wie Sir Savien lässt sich nun mal auf sechs Saiten nicht so perfekt spielen wie auf sieben. Aber es war wieder ganz, und als ich spielte, seufzte das Publikum und ließ sich langsam wieder in den Bann ziehen.
    Ich wusste kaum, dass sie da waren, und nach einer Minute hatte ich sie vollkommen vergessen. Meine Finger tanzten, liefen, wirbelten über die Saiten, während ich darum rang, dass die beiden Stimmen der Laute weiterhin meine Stimme begleiteten. Dann vergaß ich auch die Saiten und vergaß überhaupt alles, außer, das Lied zu Ende zu spielen.
    Es folgte der Refrain, und Aloine sang wieder. Für mich war sie kein menschliches Wesen und auch keine Stimme mehr, sondern nur noch ein Bestandteil des Lieds, das aus mir herausloderte.
    Und dann war es geschafft. Als ich den Kopf hob, um in den Saal zu blicken, war es, als käme ich an die Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Ich war wieder ich selbst und merkte, dass meine Hand blutete und ich am ganzen Leib schweißgebadet war. Und dann traf mich das Ende des Lieds wie ein Fausthieb vor die Brust, wie es mir damit immer ergangen ist, ganz gleich, wo und wann ich es gehört habe.
    Ich vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Nicht wegen der gerissenen Saite oder des möglichen Scheiterns bei dieser Prüfung. Nicht wegen der verletzten Hand oder des vergossenen Bluts. Ich weinte nicht einmal wegen des Jungen, der damals im Wald gelernt hatte, auf einer sechssaitigen Laute zu spielen. Nein, ich weinte um Sir Savien und Aloine, um eine verlorene und wieder gefundene und wieder verlorene Liebe. Ich beweinte die Grausamkeit des Schicksals und die Torheit der Menschen.

Kapitel 55
    Flamme und Donner

    I ch trauerte noch für ein paar Augenblicke um Savien und Aloine. Doch als mir bewusst wurde, dass ich mich immer noch auf der Bühne befand, riss ich mich schließlich zusammen und richtete mich auf meinem Stuhl auf, um mein Publikum anzusehen. Mein schweigendes Publikum.
    Musik klingt für den, der sie spielt, immer anders als für den, der sie nur hört. Das ist der Fluch aller Musiker. Noch während ich dort saß, verblasste der Schluss des Liedes, den ich improvisiert hatte, in meiner Erinnerung. Dann kamen die Zweifel. Was, wenn das Lied gar nicht so abgeschlossen, so vollendet gewirkt hatte, wie es mir vorgekommen war? Was, wenn der Schluss außer mir

Weitere Kostenlose Bücher