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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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niemanden die schreckliche Tragödie hatte nachempfinden lassen? Was, wenn meine Tränen als die peinliche Reaktion eines kleinen Jungen auf sein Versagen erschienen?
    Ich wartete. Und dann spürte ich, wie sich das Schweigen allmählich löste. Das Publikum war immer noch still und starr, so als ob das Lied es regelrecht versengt hätte. Jeder einzelne von ihnen war verwundet und klammerte sich an seinen Schmerz, als wäre er etwas sehr Wertvolles.
    Dann erklangen Schluchzer und tränenschwangere Seufzer. Und schließlich ein Sichbewegen von Leibern, die langsam aus einer Starre erwachten.
    Dann der Applaus. Ein Tosen wie eine emporschießende Flamme, ein Donnern wie nach einem Blitz.

Kapitel 56
    Münzen, Mädchen, Metheglin

    I ch bespannte meine Laute neu. Das war eine gute Ablenkung, während Stanchion im Publikum Meinungen einholte. Meine Finger lösten routiniert die gerissene Saite, und währenddessen grübelte ich vor mich hin. Als der Beifall verklungen war, kehrten die Zweifel wieder und nagten an mir. Genügte ein Lied überhaupt, um mein Können unter Beweis zu stellen? Was, wenn die Reaktion des Publikums eher der Kraft des Lieds geschuldet war als meiner Interpretation? Und was war mit dem improvisierten Schluss? Erschien womöglich nur mir allein das Lied vollendet und abgeschlossen?
    Als ich die gerissene Saite gelöst hatte, warf ich einen beiläufigen Blick darauf, und alle diese Gedanken waren mit einem Mal wie weggefegt.
    Die Saite war weder abgenutzt noch fehlerhaft, wie ich geglaubt hatte. Die Bruchstelle war sauber, so als wäre die Saite dort mit einem Messer oder einer Schere angeritzt worden.
    Einen Moment lang starrte ich die Saite sprachlos an. Jemand hatte sich an meiner Laute zu schaffen gemacht? Unmöglich. Ich ließ sie nie aus den Augen. Und außerdem hatte ich die Saiten noch überprüft, ehe ich in der Universität aufgebrochen war, und noch ein weiteres Mal, bevor ich die Bühne betreten hatte. Wie also dann?
    Ich dachte hektisch nach. Dann bemerkte ich, dass das Publikum leiser wurde. Ich hob den Blick, und in diesem Moment kam Stanchion auf die Bühne. Schnell erhob ich mich.
    Seine Miene war freundlich, ansonsten aber nicht zu deuten. Mir krampfte sich der Magen zusammen, als er zu mir kam und mir aufdie gleiche Art die Hand entgegenstreckte wie bei den beiden Musikern, die zuvor durchgefallen waren.
    Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und ergriff seine Hand. Ich war ja schließlich meines Vaters Sohn. Mit der ganzen Würde eines Edema Ruh würde ich diese Zurückweisung entgegennehmen. Eher tat sich die Erde auf und verschlang diesen Glitzerschuppen, als dass ich mir auch nur eine Spur von Enttäuschung anmerken ließ.
    Und irgendwo dort im Publikum saß Ambrose. Aber da musste die Erde schon außer dem Eolian auch noch ganz Imre verschlingen, bevor ich ihm diese Genugtuung liefern würde.
    Also lächelte ich strahlend und nahm Stanchions Hand. Und als ich sie schüttelte, spürte ich etwas Hartes auf meiner Handfläche. Ich sah hinab und erblickte ein silbernes Schimmern. Mein Abzeichen!
    Meine Miene muss ein Bild für die Götter gewesen sein. Ich sah wieder Stanchion an. Seine Augen funkelten, und er zwinkerte mir zu.
    Nun wandte ich mich zum Saal und hielt das Abzeichen empor, so dass alle es sehen konnten. Wieder tosender Applaus. Und diesmal hieß er mich willkommen.

    »Du musst mir versprechen«, sagte ein rotäugiger Simmon mit ernster Miene, »dass du dieses Lied nie wieder spielen wirst, ohne mich vorher zu warnen. Nie wieder.«
    »War es so schlimm?« Ich lächelte ihn aufgekratzt an.
    »Nein!«, rief er. »Es ist nur … Ich habe noch nie –« Ihm versagte die Stimme, und dann neigte er den Kopf und weinte hemmungslos in seine Hände.
    Wilem legte ihm tröstend einen Arm um die Schultern, und Simmon lehnte sich ungeniert bei ihm an. »Simmon hat ein weiches Herz«, sagte Wilem. »Ich glaube, er wollte einfach nur sagen, dass es ihm sehr gut gefallen hat.«
    Ich sah, dass auch Wilems Augen leicht gerötet waren. Simmon legte ich eine Hand auf den Rücken. »Es hat mich auch umgehauen, als ich es das erste Mal gehört habe«, sagte ich. »Meine Eltern habenes bei einem Mittwinterfest aufgeführt, als ich neun Jahre alt war, und danach war ich zwei Stunden lang in Tränen aufgelöst. Sie mussten meinen Part in Der Schweinehirt und die Nachtigall streichen, weil ich nicht in der Lage war aufzutreten.«
    Simmon nickte und machte eine Geste, die wohl besagen

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