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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Nachtschattengewächs? Nein. Nesseln? Vielleicht.«
    Sie verzog in gespielter Empörung das Gesicht und streckte mir die Zunge heraus.
    Ich tippte mir mit einem Finger an den Mund, so als würde ich es mir noch einmal überlegen. »Du hast recht. Nesseln passen nicht zu dir.«
    Sie schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Windhafer!«, rief ich und entlockte ihr damit ein Lachen. »Die Wildheit passt zu dir, aber es ist nur eine ganz kleine, unscheinbare Blüte. Und aus diesem, wie auch aus anderen«, ich räusperte mich, »offensichtlicheren Gründen können wir den Windhafer wohl beiseite lassen.«
    »Schade«, sagte sie.
    »Die Margerite käme in Frage«, fuhr ich fort und ließ mich nicht von ihr ablenken. »Sie ist groß und schlank und wächst gern am Straßenrand. Es ist eine kräftige Pflanze, nicht überempfindlich. Margeriten sind selbstbewusst. Ich glaube, Margeriten könnten zu dir passen … Aber lass uns erst noch weiter die Liste durchgehen. Schwertlilie? Zu bunt. Distel? Zu abweisend. Veilchen? Zu klein. Waldlilie? Hm, das könnte was sein. Eine schöne Blume. Die Blütenblätter …« Ich machte die kühnste Geste meines jungen Lebens und strich Denna mit zwei Fingern sacht seitlich über den Hals. »… sind beinahe ebenso glatt und weich wie deine Haut. Aber sie wächst zu nah am Boden.«
    »Das ist ja ein Riesen-Bukett, das du mir hier bringst«, sagte sie. Unwillkürlich griff sie sich an die Stelle am Hals, wo ich sie berührt hatte, und ließ die Hand dort einen Moment lang ruhen.
    War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Wischte sie meine Berührung fort oder hielt sie sie fest? Eine noch größere Unsicherheit ergriff mich, und ich beschloss, keine großen Risiken mehr einzugehen. Ich blieb stehen. »Selasblume«, sagte ich.
    Sie blieb ebenfalls stehen und sah mich an. »Nach all dem suchst du dir eine Blume aus, die ich gar nicht kenne? Was ist denn eine Selasblume? Und wieso ausgerechnet sie?«
    »Sie hat eine dunkelrote Blüte, die an kräftigen Ranken wächst. Die Blätter sind dunkel und zartgliedrig. Die Pflanze selbst wächst am liebsten an schattigen Orten, die Blüte aber findet hin und wieder einen Sonnenstrahl, um darin zu erblühen. Das passt zu dir. Vieles an dir ist gleichzeitig Licht und Schatten. Sie wächst tief im Wald und ist sehr selten, denn nur große Könner vermögen sie zu ziehen. Sie duftet ganz wunderbar und wird viel gesucht, aber nur selten gefunden.« Ich hielt inne und betrachtete sie. »Ja, wenn ich eine Blume aussuchen soll, würde ich mich für eine Selas entscheiden.«
    Sie sah mich an und gleich wieder weg. »Du hältst zu viel von mir.«
    Ich lächelte. »Vielleicht hältst du zu wenig von dir.«
    Sie fing etwas von meinem Lächeln ein und warf es mir zurück. »Du warst vorhin schon ganz nah dran. Margeriten. Schlicht und schön. Mit Margeriten kann man mein Herz gewinnen.«
    »Das merke ich mir.« Wir gingen weiter. »Und welche Blume würdest du mir schenken?«, fragte ich sie neckisch, da ich glaubte, dass sie darauf nicht gefasst war.
    »Eine Weidenblüte«, sagte sie, ohne überhaupt weiter nachzudenken.
    »So so. Und warum ausgerechnet eine Weidenblüte?«
    »Weil du mich an eine Weide erinnerst«, sagte sie leichthin. »Stark, tief verwurzelt und nicht zu durchschauen. Wenn ein Sturm kommt, bewegst du dich mit Leichtigkeit, aber nie weiter, als du willst.«
    Ich hob die Hände, wie um einen Schlag abzuwehren. »Lass diese lieblichen Worte«, protestierte ich. »Du willst mich ja doch bloß deinem Willen unterwerfen. Aber nicht mit mir! Deine Schmeicheleien sind weiter nichts als Wind!«
    Sie sah mich einen Moment lang an, wie um sicher zu gehen, dass mein Wortschwall zu Ende war. »Mehr als alle anderen Bäume«, sagte sie, und ein Lächeln spielte um ihre anmutigen Lippen, »bewegt sich die Weide, wie es dem Wind gefällt.«

    Die Sterne verrieten mir, dass fünf Stunden vergangen waren. Doch das erschien mir überhaupt nicht lange, als wir schließlich am Gasthof Zur Eiche anlangten, wo sie zurzeit in Imre wohnte. An der Tür entstand eine Situation, die eine Stunde lang anhielt und während der ich überlegte, sie zu küssen. Dieser Gedanke war mir unterwegs schon ein Dutzend Mal gekommen – als wir auf der alten Steinbrücke innegehalten hatten, um den Fluss im Mondschein zu betrachten; unter einer Linde in einem Park in Imre …
    Bei dieser Gelegenheit hatte ich gespürt, wie sich zwischen uns eine Spannung aufbaute,

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