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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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genommen eher selten.«
    »Wie war sie damals?«
    Deoch dachte eine ganze Weile darüber nach und trank einen Schluck. »So wie heute«, sagte er schließlich. »Sie war jünger, aber ich kann nicht behaupten, dass sie mir jetzt älter vorkommt. Sie erschien mir immer älter, als sie eigentlich ist.« Er runzelte die Stirn. »Nein, älter ist nicht das richtige Wort, eher …«
    »Erwachsener?«, schlug ich vor.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Mir fällt kein gutes Wort dafür ein. Das ist so, wie wenn man eine große Eiche betrachtet. Die bewundert man auch nicht, weil sie älter oder größer ist als die anderen Bäume. Sie hat einfach etwas, das den jüngeren Bäumen fehlt. Eine Vielschichtigkeit, Festigkeit, Bedeutsamkeit.« Deochs Miene verdüsterte sich. »Ich glaube, das war der blödeste Vergleich, den ich je gebracht habe.«
    Ich musste lächeln. »Es ist schön zu sehen, dass ich nicht der Einzige bin, der Schwierigkeiten hat, sie in Worte zu fassen.«
    »Nein, sie lässt sich schlecht fassen«, pflichtete Deoch bei und trank sein Glas aus. Er nahm die Flasche und klopfte mit dem Boden sacht an mein Glas. Ich trank aus, und er schenkte uns nach.
    Deoch fuhr fort: »Sie war damals schon genau so rastlos und wild. Und genau so schön.« Er zuckte wieder die Achseln. »Wie gesagt: Nicht viel anders als heute auch. Eine liebliche Stimme, ebenso leichtfüßig wie schnellzüngig. Von den Männern verehrt und von den Frauen verachtet.«
    »Verachtet?«
    Deoch sah mich an, als verstünde er nicht, wieso ich fragte. »Frauen hassen Denna«, sagte er, als konstatiere er etwas, das wir beide längst wüssten.
    »Hassen?« Der Gedanke verblüffte mich. »Aber wieso?«
    Deoch sah mich ungläubig an und brach dann in Gelächter aus. »Mein Gott, du verstehst aber auch wirklich überhaupt nichts von Frauen, oder?« Normalerweise hätte ich eine solche Bemerkung übel genommen, doch er meinte es nicht böse. »Überleg doch mal. Sie ist schön und charmant. Die Männer balgen sich um sie wie brünftige Hirsche. Es ist doch klar, dass ihr das von Frauen verübelt wird.«
    Mir fiel wieder ein, was Sim kürzlich über Deoch gesagt hatte: Er hat wieder mal die schönste Frau des Abends rumgekriegt. Für so etwas muss man den Mann einfach hassen . »Mir kam sie immer recht einsam vor«, wendete ich ein. »Vielleicht ist das der Grund dafür.«
    Deoch nickte ernst. »Da ist was dran. Man sieht sie nie mit anderen Frauen. Und mit Männern hat sie etwa so viel Glück wie …« Er hielt inne, suchte nach einem Vergleich. »Wie … Mist.« Er seufzte.
    »Wie man so sagt: Den richtigen Vergleich zu finden ist so schwer wie …« Ich zog ein nachdenkliches Gesicht. »So schwer wie …« Ich machte eine ratlose Geste.
    Deoch lachte und schenkte uns nach. Ich entspannte mich allmählich. Es gibt eine Art von Kameradschaft unter Männern, die sich nur einstellen kann, wenn man gegen die gleichen Gegner gekämpft oder die gleichen Frauen gekannt hat. »Hatte sie damals auch schon die Angewohnheit, einfach so zu verschwinden?«
    Er nickte. »Ohne Vorwarnung. Manchmal für eine Spanne. Manchmal für Monate.«
    »So wechselhaft wie der Wind oder der Wille einer Frau« , zitierte ich. Es sollte nachdenklich klingen, klang aber doch eher bitter. »Hast du eine Ahnung, was dahinter steckt?«
    »Ich habe oft darüber nachgedacht«, erwiderte er. »Zum Teil liegt es, glaube ich, in ihrem Charakter begründet. Sie hat wohl einfach eine Vagabundenseele.«
    Bei diesem Wort musste ich daran denken, dass mein Vater uns einst manchmal befohlen hatte, die Zelte abzubrechen und eine Stadt zu verlassen, obwohl wir dort willkommen gewesen waren und das Publikum nur so zu uns strömte. Später erklärte er mir dann seine Gründe: Ein böser Blick von einem Polizisten, allzu viele schmachtende Seufzer von den jungen Ehefrauen des Orts …
    Doch manchmal hatte er gar keinen Grund. Wir Ruh sind für die Wanderschaft gemacht, mein Junge. Und wenn mein Instinkt mir sagt, dass wir weiterziehen sollen, dann vertraue ich diesem Instinkt .
    »Aber größtenteils liegt es wohl an ihren Lebensumständen«, fuhr Deoch fort.«
    »Lebensumständen?«, fragte ich neugierig. Sie hatte mit mir nie über ihre Vergangenheit gesprochen, und ich wollte sie auch nicht drängen, darüber zu sprechen. Ich wusste schließlich aus eigener Erfahrung, wie es war, wenn man über seine Vergangenheit nicht sprechen wollte.
    »Na ja, sie hat keine Familie und niemanden, der sie

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