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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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unterstützt. Keine alten Freunde, die ihr mal aus der Klemme helfen könnten.«  
    »Das habe ich auch nicht«, sagte ich. Der Wein machte mich ein wenig verdrießlich.
    »Das ist ein himmelweiter Unterschied«, entgegnete Deoch leise tadelnd. »Einem Mann stehen viele Wege offen, wie er sich durchs Leben schlagen kann. Du hast einen Studienplatz an der Universität ergattert, und auch wenn dir das nicht gelungen wäre, stünden dir noch viele andere Möglichkeiten offen.« Er sah mich mit einem vielsagenden Blick an. »Aber welche Möglichkeiten hat ein junges, hübsches Mädchen, das keine Familie hat? Ohne Mitgift? Ohne Zuhause?«
    Er zählte es an den Fingern ab. »Sie könnte betteln oder sich prostituieren. Oder sie könnte die Mätresse eines Edelmannes werden, was letztlich auf das Gleiche hinausläuft. Und wir wissen doch beide, dass Denna nicht zur Mätresse taugt.«
    »Es gibt doch auch noch andere Verdienstmöglichkeiten«, wendete ich ein und zählte sie ebenfalls an den Fingern ab. »Sie könnte als Näherin arbeiten – oder als Kellnerin …«
    Deoch schnaubte. »Also bitte, das weißt du doch besser. Du weißt doch, wie es in diesen Verhältnissen zugeht. Und du weißt auch, dass ein hübsches Mädchen, das keine Familie hat, letztlich genauso ausgenutzt wird wie eine Prostituierte – nur schlechter entlohnt.«
    Bei dieser Zurechtweisung wurde ich ein wenig rot, auch weil mir der Wein allmählich zu Kopf stieg. Meine Lippen und Fingerspitzen wurden schon ein wenig taub davon.
    Deoch schenkte uns nach. »Man kann es ihr nicht übel nehmen, dass sie geht, wohin der Wind sie weht. Sie muss die Möglichkeiten nutzen, die sich ihr bieten. Wenn sie die Gelegenheit bekommt, mit Leuten zu reisen, die sie gern singen hören, oder mit einem Händler, der hofft, dass ihr hübsches Gesicht ihm dabei hilft, seine Waren an den Mann zu bringen, wer wollte es ihr da verdenken, wenn sie ihre Zelte abbricht und die Stadt verlässt? Und wenn sie dabei ihre Reize nutzt, werde ich deshalb nicht schlecht von ihr denken. Junge Adlige machen ihr den Hof, kaufen ihr Geschenke, Kleider, Schmuck.« Er zuckte die Achseln. »Und wenn sie diese Dinge später wieder zu Geld macht, um davon zu leben, ist das nicht verwerflich. Diese Geschenke wurden ihr freiwillig gemacht, und sie kann damit tun, was sie will.«
    Er sah mich an. »Aber was soll sie machen, wenn einer dieser Männer zudringlich wird? Oder wenn er wütend wird, weil er nicht bekommt, was er meint, bezahlt zu haben? Welcher Ausweg bleibt ihr dann? Sie hat keine Familie, keine Freunde, sie gehört keinem Stand an. Dann bleibt ihr nur eine Wahl: Sie kann sich ihm hingeben, gegen ihren Willen …« Deoch sah grimmig drein. »Oder sie sieht ganz schnell zu, dass sie Land gewinnt. Ist es da ein Wunder, dass sie schwieriger zu erhaschen ist als ein Blatt im Wind?«
    Er schüttelte den Kopf und blickte auf die Tischplatte. »Nein. Ich beneide sie nicht um das Leben, das sie führt. Und ich mache ihr keine Vorwürfe.« Seine Worte schienen nun erschöpft und sie waren ihm offenbar ein wenig peinlich. Er sah mich nicht an, als er fortfuhr. »Ich würde ihr helfen, wenn sie mich ließe.« Er hob den Blick und sah mich mit einem verdrießlichen Lächeln an. »Aber sie will niemandem zu Dank verpflichtet sein. Auf keinen Fall.« Er seufzteund verteilte die letzten Tropfen des Weins gleichmäßig auf unsere Gläser.
    »Du hast sie mir in einem ganz neuen Licht gezeigt«, sagte ich. »Und es ist mir peinlich, dass ich es nicht selbst erkannt habe.«
    »Na ja, ich habe dir etwas voraus«, erwiderte er leichthin. »Ich kenne sie schon länger.«
    »Trotzdem danke«, sagte ich und hob mein Glas.
    Er hob seines ebenfalls. »Auf Dyanae«, sagte er. »Die Holdeste der Holden.«
    »Auf Denna, Pracht und Wonne.«
    »Jung und unbeugsam.«
    »Und strahlend schön.«
    »Stets begehrt, stets allein.«
    »So klug und so töricht«, sagte ich. »So fröhlich und so traurig.«
    »Götter meiner Ahnen«, sagte Deoch ehrfürchtig. »Schützt sie vor allem Leid und erhaltet sie so, wie sie ist.«
    Wir tranken und stellten die Gläser ab.
    »Lass mich die nächste Flasche ausgeben«, sagte ich. Damit wäre mein mühsam erspieltes Getränkekontingent zwar erschöpft, aber Deoch wuchs mir zusehends ans Herz, und es kam gar nicht in Frage, dass ich mich nicht revanchierte.
    Er rieb sich das Gesicht. »Lieber nicht. Noch eine Flasche, und wir liegen, noch bevor die Sonne untergeht, am Fluss und

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