Der Name Des Windes
ganz sicher zu gehen, überprüfte ich beide Pupillen ein zweites Mal.
Ja. Ihre Pupillen waren in Ordnung. Sie hatte es überstanden. Wie um diese Diagnose zu bestätigen, zog Denna eine finstere Miene, wandte das Gesicht vom Licht meiner Lampe ab und murmelte etwas nicht allzu Damenhaftes. Ich verstand nicht alles, aber die Worte »Hurenbock« und »verpiss dich« kamen mehrfach darin vor.
Ich nahm sie in die Decke gehüllt auf den Arm und stieg vorsichtig mit ihr von den Steinen hinunter. Dann legte ich sie schön warm eingemummelt in den Torbogen aus Grausteinen. Während ich so mit ihr umging, schien sie einmal aufzuwachen. »Denna?«
»Moteth?«, murmelte sie sehr schläfrig, und die Augen unter ihren Lidern regten sich nur ganz leicht.
»Denna! Der Draccus ist auf dem Weg nach Trebon! Ich muss …«
Ich hielt inne. Sie war offensichtlich wieder bewusstlos geworden, und ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.
Ich musste irgendetwas unternehmen. Unter normalen Umständen hätte der Draccus einen großen Bogen um eine Stadt gemacht, doch so berauscht und manisch, wie er war, konnte man nicht wissen, wie er auf die Erntedankfeuer reagieren würde. Wenn er in der Stadt herumwütete, war es meine Schuld. Ich musste etwas tun.
Ich stieg rasch auf den Torbogen hinauf, schnappte mir die beiden Säcke und flitzte wieder hinunter. Dann kippte ich den Reisesack aus. Ich nahm mir die Armbrustbolzen, wickelte sie in mein zerrissenes Hemd und stopfte sie wieder in den Sack. Ich warf auch noch die Draccusschuppe hinein, steckte die Flasche Schnaps zur Polsterung in den Sack mit dem Harz und stopfte auch diesen in meinen Reisesack.
Dann trank ich aus dem Schlauch noch schnell einen Schluck Wasser und ließ ihn für Denna zurück. Sie würde schrecklichen Durst haben, wenn sie aufwachte.
Ich schulterte meinen Reisesack, machte meine Sympathielampe an, ergriff das Beil und lief los.
Ich hatte einen Drachen zu töten.
Wie ein Wahnsinniger rannte ich durch den Wald. Das Licht meiner Sympathielampe hüpfte hin und her, und so konnte ich Hindernisse erst im letzten Augenblick erkennen. Es war kein Wunder, dass ich stürzte und Hals über Kopf den Hang hinunterpurzelte. Als ich wieder auf die Beine kam, fand ich meine Lampe schnell wieder, ließ das Beil aber liegen, da ich im Grunde wusste, dass ich damit gegen den Draccus nichts ausrichten konnte.
Ich stürzte noch zwei Mal, bis ich zur Straße kam. Dort duckte ich mich wie ein Sprinter und rannte so schnell ich konnte, auf die Lichter der Stadt zu. Mir war klar, dass der Draccus schneller war als ich, aber ich hoffte, dass der Wald ihn aufgehalten hatte und dass es mit seinem Orientierungssinn nicht mehr zum Besten stand. Wenn ich vor ihm in der Stadt eintraf, konnte ich die Leute warnen …
Doch als die Straße aus dem Wald herausführte, sah ich, dass die Feuer der Stadt nun höher und heller brannten. Ganze Gebäudestanden in Flammen. Das Gebrüll des Draccus war zu hören und Rufe und schrille Schreie.
Als ich in Trebon anlangte, verlangsamte ich meine Schritte und holte ein wenig Luft. Ich kletterte an einer Hauswand hoch und von dort auf eines der wenigen etwas höher gelegenen Dächer, um mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen.
Das große Erntedankfeuer auf dem Marktplatz war auseinandergerissen und in alle Himmelsrichtungen verstreut. Etliche nahe gelegene Häuser und Geschäfte waren dem Erdboden gleich gemacht. Auf einigen Dächern standen die Holzschindeln in Flammen. Wenn es an diesem Abend nicht geregnet hätte, wäre die ganze Stadt bereits ein einziges Flammenmeer gewesen. So brannten nur vereinzelte Gebäude. Doch es war nur ein Frage der Zeit.
Ich konnte den Draccus zwar nicht sehen, hörte aber, wie er sich in der Ruine eines brennenden Hauses wälzte. Ein blauer Flammenstoß schoss hoch über die Dächer der Stadt empor, und ich hörte ihn wieder brüllen. Bei diesem Geräusch brach mir der kalte Schweiß aus. Wer konnte schon wissen, was in seinem drogenvernebelten Hirn jetzt vor sich ging?
Überall waren Menschen. Einige standen einfach nur wie versteinert fassungslos da, andere liefen panisch zur Kirche, in der Hoffnung, in dem großen Steingebäude, an dessen Portal zum Schutz vor Dämonen das riesige Eisenrad hing, Zuflucht zu finden. Doch die Kirche war abgeschlossen, und so mussten sie anderswo Zuflucht suchen. Einige Leute sahen entsetzt und weinend von ihren Fenstern aus zu, doch erstaunlich viele hatten einen
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