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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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verstreuten Holzstücken hin und her. Er bewegte sich nun energischer, ein Zeichen, dass das Dennerharz zu wirken begann. Er fing an zu grunzen. Er grunzte, spie blaues Feuer, wälzte sich, grunzte …
    Schließlich war von dem Lagerfeuer nur noch das glühende Kohlenbett übrig. Wie schon beim letzten Mal legte sich der Draccus darauf und löschte damit alles Licht auf dem Hügel.
    Er lag dort einen Moment lang ganz still. Dann grunzte er wieder und spie blaues Feuer. Nun wälzte er seinen Bauch tiefer in das Kohlenbett hinein, fast als würde er nervös herumrutschen. Wenn das der Beginn der manischen Phase war, ging es für meinen Geschmack alles viel zu langsam. Ich hatte gehofft, dass er um diese Zeit schon auf dem besten Wege ins Delirium wäre. Hatte ich das Harz zu gering dosiert?
    Als sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass es noch eine weitere Lichtquelle gab. Erst dachte ich, die Wolken hätten sich verzogen, und der Mond sei aufgegangen. Doch als ich mich von dem Draccus abwandte und mich umschaute, erkannte ich, was es wirklich war.
    Im Südwesten, kaum zwei Meilen entfernt, war Trebon von Feuerschein erleuchtet. Und das war nicht das Kerzenlicht aus den Fenstern, nein, überall loderten hohe Flammen empor. Für einen Moment glaubte ich, die ganze Stadt stünde in Brand.
    Dann wurde mir klar, was es war: das Erntedankfest. Im Stadtzentrum brannte ein großes Feuer, und kleinere Feuer brannten vor den Häusern, vor denen man an die erschöpften Erntehelfer Apfelwein ausschenkte. Sie tranken und warfen die Butzemänner in die Flammen. Diese Puppen waren aus Weizen- oder Gerstengarben, aus Stroh und Spreu. Sie waren so geflochten, dass sie schnell in Flammen aufgingen. Es war ein Ritual, mit dem man das Ende des Jahres beging, und das Dämonen abschrecken sollte.
    Hinter mir hörte ich den Draccus grunzen. Ich sah wieder zu ihm hinab, und wie auch ich zuvor blickte er in die andere Richtung, fort von Trebon und hin zu den dunklen Felsenhängen des Nordens.
    Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich gestehe, dass ich in diesem Moment anfing zu beten. Ich betete in vollem Ernst zu Tehlu und all seinen Engeln und bat darum, dass der Draccus einfach nur friedlich einschlafen möge, ohne sich noch einmal umzusehen und die Feuer der Stadt zu bemerken.
    Ich wartete etliche lange Minuten. Zunächst glaubte ich, der Draccus wäre eingeschlafen, doch als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass er den Kopf immer wieder langsam hin und her wiegte. Und je besser sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, desto heller erschienen mir die Feuer in Trebon. Es war jetzt eine halbe Stunde her, dass er das Harz verschlungen hatte. Wieso war er immer noch am Leben?
    Ich hätte ihm gern auch noch das restliche Harz hingeworfen, wagte es aber nicht. Wenn sich der Draccus zu mir umwandte, würde er nach Süden sehen, in die Richtung der Stadt. Und selbst wenn ich ihm den Sack mit dem Harz direkt vor die Schnauze warf, war nicht auszuschließen, dass er sich umblickte. Vielleicht konnte ich …
    Doch da brüllte der Draccus, so tief und kräftig wie zuvor. Ich zweifelte nicht, dass es bis Trebon zu hören war. Ja, es hätte mich nicht gewundert, wenn man es in Imre gehört hätte. Ich sah zu Denna hinüber. Sie regte sich im Schlaf, wachte aber nicht auf.
    Der Draccus sprang von dem Kohlenbett auf und führte sich nun auf wie ein herumtollender junger Hund. Die Kohlen glühten an einigen Stellen noch und spendeten ausreichend Licht, so dass ich sehen konnte, wie das Riesenvieh sich herumwälzte, sich auf den Rücken drehte, spielerisch nach der Luft schnappte, sich umdrehte …
    »Nein«, sagte ich. »Nein, nein, nein.«
    Er sah nach Trebon hinüber. Die Feuer der Stadt spiegelten sich in seinen großen Augen. Er spie noch einen mächtigen blauen Flammenstoß. Die gleiche Geste wie vorher: ein Gruß oder eine Herausforderung.
    Dann rannte er los, preschte in aberwitzigem Tempo den Hang hinunter. Ich hörte, wie er eine Schneise durch den Wald schlug. Und ich hörte ihn brüllen.
    Während ich meine Sympathielampe anmachte, ging ich zu Denna und rüttelte sie unsanft. »Denna. Denna! Du musst aufstehen!«
    Sie ließ sich nicht wecken.
    Ich zog ein Augenlid hoch und überprüfte die Pupille. Sie war nun überhaupt nicht mehr träge und zog sich im Licht schnell zusammen. Das bedeutete, dass ihr Körper das Dennerharz endlich verarbeitet hatte. Sie war nun einfach nur noch erschöpft. Um

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