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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Daumen und Zeigefinger. »Deshalb sind Eulen keine guten Helden.«
    Weisheit und Dreistigkeit, das schließt sich aus. Nach meinen Abenteuern in Trebon konnte ich dem nur zustimmen. »Aber diese Eule ist eine Abenteurerin? Eine Entdeckungsreisende?«
    »O ja«, sagte Auri mit großen Augen. »Die hat keine Angst. Und sie hat ein böses Mondgesicht.«
    Sie schenkte sich Honigwein nach und goss dann den Rest der Flasche in meine Teetasse. Nachdem sie die Flasche auf den Kopf gedreht hatte, schürzte sie die Lippen und blies zweimal auf dem Flaschenrand: huu huu . »Wo ist denn meine Frage?«, sagte sie.
    Ich zögerte, denn ich war mir überhaupt nicht sicher, wie sie auf meine Bitte reagieren würde. »Ich wollte dich um etwas bitten, Auri. Könntest du mir das Unterding zeigen?«
    Auri wandte den Blick ab, mit einem Mal scheu. »Kvothe, ich dachte, du wärest ein Gentleman«, sagte sie und nestelte verlegen an ihrer zerlumpten Bluse. »Und jetzt bittest du ein Mädchen, dir ihr Unterding zu zeigen.« Sie senkte den Blick, und ihr Haar verbarg ihr Gesicht.
    Ich hielt einen Moment lang den Atem an und wählte meine nächsten Worte mit sehr viel Bedacht. Das Letzte, was ich wollte, war, dass sie nun nach unten davonlief. Und während ich noch überlegte, spähte Auri durch den Vorhang ihrer Haare zu mir hinüber.
    »Auri«, fragte ich vorsichtig, »treibst du gerade einen Scherz mit mir?«
    Sie hob den Blick und grinste. »Ja«, sagte sie stolz. »Ist das nicht großartig?«

    Auri öffnete das schwere Entwässerungsgitter auf dem verwaisten Hof und führte mich in das Unterding hinab. Ich zog meine Handlampe hervor und leuchtete uns. Auri hatte ein eigenes Licht dabei, etwas, das sie in den hohlen Händen hielt und das einen schwachen, blaugrünen Lichtschein spendete. Ich hätte gern gewusst, was es war, wollte ihr aber auch nicht zu viele Geheimnisse auf einmal entlocken.
    Das Unterding war zunächst genau so, wie ich erwartet hatte. Unterirdische Gänge und Rohrleitungen. Rohre für Abwasser, Wasser, Dampf und Gas. Von schwarzen Eisenrohren, die so dick waren, dass ein Mensch hindurchkriechen konnte, bis hin zu schimmernden Messingrohren, in die kaum ein Daumen gepasst hätte. Und dann war da ein weit verzweigtes Netz aus unterirdischen, gemauerten Gängen. Wenn es einem bestimmten Zweck diente, konnte ich ihn jedenfalls nicht erkennen.
    Auri führte mich im Eiltempo herum, stolz wie eine junge Mutter und aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Ihre Begeisterung war ansteckend, und bald verlor ich meinen eigentlichen Grund, weshalb ich diese unterirdischen Gänge erkunden wollte, aus den Augen. Es gibt ja nichts Aufregenderes als ein Geheimnis direkt vor der eigenen Haustür.
    Wir stiegen drei schmiedeeiserne Wendeltreppen hinunter und kamen schließlich in die Graue Zwölf. Es war, als stünde man am Grunde einer Schlucht. Hoch droben sah ich an einigen Stellen das Mondlicht durch die Entwässerungsgitter scheinen. Die Eulenmutter war nicht da, aber Auri zeigte mir ihr Nest.
    Je tiefer wir vordrangen, desto sonderbarer wurde es. Die Rohrleitungen verschwanden, und an ihre Stelle traten verzweigte Korridore und mit Schutt übersäte Treppen. Verrottete Holztüren hingen schief in rostigen Angeln, und wir stießen auf halb eingestürzte Räume, in denen Tische und Stühle vor sich hin moderten. In einem Raum gab es zwei zugemauerte Fenster, obwohl wir uns hier mindestens fünfzehn Meter tief unter der Erde befanden.
    Als wir noch tiefer hineingingen, kamen wir in den Dunkelgrund, einen Saal von den Ausmaßen einer Kathedrale, so hoch, dass weder Auris blaues Licht noch der rötliche Schein meiner Lampe bis zur Decke hinauf reichten. Rings umher standen riesige, uralte Maschinen. Einige lagen in Trümmern: Zerbrochene Zahnräder, übermannshoch, Treibriemen aus Leder, die unter dem Zahn der Zeit zerbröckelt waren, riesige Holzbalken, heckengroß von weißen Pilzen überwuchert.
    Andere Maschinen waren unversehrt, aber von jahrhundertelanger Vernachlässigung gezeichnet. Ich ging zu einem Eisenklotz, der so groß wie ein Bauernhaus war, und brach eine Rostschuppe von der Größe eines Esstellers ab. Darunter kam nur weiterer Rost zum Vorschein. In der Nähe standen drei riesige Säulen, die so dick mit Grünspan überzogen waren, dass es aussah, als wären sie mit Moos bewachsen. Viele dieser Riesenmaschinen waren nicht mehr zu erkennen, es hatte den Anschein, als ob sie zusammengeschmolzen wären. Dann sah ich jedoch

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