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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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herüber auf meinen.«
    »Aber die Straße ist doch die gleiche, nicht wahr? Und sie führt auch immer noch an den gleichen Ort?«, fragte jemand.
    »Ja.«
    »Wohin führt die Straße?«
    »In den Tod. Alles Leben endet mit dem Tod, eines ausgenommen. Das ist der Lauf der Welt.«
    »Und welche Rolle spielt es dann, auf welcher Seite ein Mensch wandelt?« Es war Rengen, der diese Fragen stellte. Er war ein großgewachsener Mann, einer der wenigen, die größer waren als der dunkeläugige Tehlu. Doch das, was er soeben gesehen und gehört hatte, hatte ihn erschüttert. »Was ist denn auf unserer Seite der Straße?«
    »Schmerz«, sagte Tehlu mit steinharter, steinkalter Stimme. »Und Strafe.«
    »Und auf deiner Seite?«
    »Jetzt Schmerz«, sagte Tehlu im gleichen Tonfall. »Und jetzt Strafe – für all das, was ihr getan habt. Das ist unumgänglich. Aber auch ich bin hier, das ist mein Weg.«
    »Und wie komme ich hinüber?«
    »Bedauere, bereue, wechsele zu mir herüber.«
    Rengen schritt über den Strich und stellte sich zu seinem Gott. Dann bückte sich Tehlu, um den Hammer aufzuheben, den der Schmied fallengelassen hatte. Doch statt ihm den Hammer zurückzugeben, schlug er Rengen damit, als wäre der Hammer eine Peitsche. Einmal. Zweimal. Dreimal. Beim dritten Schlag sank Rengen vor Schmerzen schreiend auf die Knie. Doch nach diesem dritten Schlag legte Tehlu den Hammer beiseite und bückte sich, um Rengen ins Gesicht zu sehen. »Du warst der Erste, der zu mir herübergewechselt ist«, sagte er so leise, dass nur der Schmied es hören konnte. »Das war sehr tapfer von dir, eine große Leistung. Ich bin stolz auf dich. Von nun an bist du nicht mehr Rengen, sondern du bist nun Wereth, der Schmied des Weges.« Dann schloss Tehlu ihn in dieArme, und diese Berührung linderte bei Rengen, der nun Wereth war, den Schmerz. Doch ganz verschwand der Schmerz nicht, denn Tehlu hatte die Wahrheit gesprochen, als er gesagt hatte, die Strafe sei unumgänglich.
    Einer nach dem anderen wechselten sie hinüber, und einen nach dem anderen streckte Tehlu mit dem Hammer nieder. Doch zu jedem dieser Männer und zu jeder dieser Frauen kniete Tehlu nieder, sprach zu ihnen, gab ihnen einen neuen Namen und linderte ihre Schmerzen.
    In vielen dieser Männer und Frauen verbargen sich Dämonen, die schreiend flohen, als der Hammer sie berührte. Mit diesen Menschen sprach Tehlu ein wenig länger, aber letztlich schloss er sie alle in die Arme, und sie alle waren ihm dankbar. Manche von ihnen tanzten vor Freude darüber, dass sie von den schrecklichen Wesen befreit waren, die in ihnen gehaust hatten.
    Letztlich blieben sieben Menschen auf der anderen Seite. Tehlu fragte sie dreimal, ob sie nicht doch herüberkommen wollten, und dreimal weigerten sie sich. Und nachdem er dreimal gefragt hatte, sprang er über den Strich und streckte sie alle mit einem mächtigen Schlag zu Boden.
    Doch nicht alle von ihnen waren Menschen. Als Tehlu den vierten schlug, klang es wie abschreckendes Eisen und roch nach verbranntem Leder. Denn der vierte war gar kein Mensch gewesen, sondern ein Dämon, der eine Menschenhaut trug. Als das offenbar wurde, packte Tehlu den Dämon und zerschmetterte ihn mit bloßen Händen, verfluchte seinen Namen und schleuderte ihn in die äußere Finsternis, welche die Heimstatt seiner Art ist.
    Die übrigen drei ließen sich niederschlagen. Sie waren keine Dämonen, aber aus einigen derer, die zu Boden gingen, entwichen Dämonen. Nachdem das getan war, sprach Tehlu nicht zu den sechs, die sich geweigert hatten herüberzukommen, und er schloss sie auch nicht in die Arme und linderte nicht ihre Schmerzen.
    Am nächsten Tag brach Tehlu auf, um zu Ende zu führen, was er begonnen hatte. Er wanderte von Ort zu Ort und bot überall, wohin er kam, die gleiche Wahl an. Das Ergebnis war immer das gleiche: Einige wechselten zu ihm hinüber, andere blieben, wo sie waren,einige waren überhaupt keine Menschen, sondern Dämonen, und diese vernichtete er.
    Ein Dämon jedoch entwischte Tehlu immer wieder: Encanis, dessen Antlitz der Schatten verbarg. Encanis, dessen Stimme wie ein Messer in die Seelen der Menschen drang.
    Wohin Tehlu auch kam, um den Menschen die Wahl des Weges zu bieten, war Encanis kurz zuvor gewesen, hatte das Getreide verdorren lassen und die Brunnen vergiftet. Encanis brachte die Männer dazu, einander zu ermorden, und raubte des Nachts die Kinder aus ihren Betten.
    Nachdem sieben Jahre vergangen waren, hatten Tehlus Füße

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