Der Narr und der Tod
fetzen – da hab ich mich einfach abgelegt. Danach kann ich mich bloß noch daran erinnern, dass ich geträumt habe, dass jemand schreit. Da habe ich mich dann wohl versteckt.“
Erneut sahen Martin und ich einander an.
„Was ist? Wollen Sie gar nichts mehr sagen? Sie sind doch der Onkel und die Tante von Regina, oder? Obwohl – ehrlich, Lady, Sie sind doch gar nicht alt genug, um die Tante von irgendwem zu sein.“ Er strahlte mich an oder versuchte es zumindest. Inzwischen war wohl auch ihm klar, dass hier etwas ganz entschieden nicht stimmte, weswegen sein jungenhaftes Grinsen bestimmt nur ein schwacher Abklatsch dessen war, was es hätte sein können.
Martin runzelte finster die Stirn. Ich war dreizehn Jahre jünger als er, sah aber offenbar noch jünger aus. Die Gene, die dafür sorgen, dass die Haut meiner Mutter auch nach siebenundfünfzig Jahren noch glatt war, hatten es auch mit mir gut gemeint. Außerdem war ich sehr klein und wurde auch nicht mehr größer.
Hayden hatte seine Flasche geleert. Ich legte ihn mir über die Schulter und tätschelte ihm den Rücken, um ihn aufstoßen zu lassen. Zugleich zermarterte ich mir das Hirn, was ich wohl sagen könnte.
„Martin ist Reginas Onkel und ich bin Martins Frau, Aurora“, fing ich schließlich vorsichtig an. „Letzte Nacht sind hier ein paar Dinge geschehen.“
„Bitte erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, Craig hätte Regina geschlagen oder so!“
„Könnten Sie uns sagen, wer Sie sind?“ Martin gab sich alle Mühe, ruhig zu klingen.
„Klar doch, Mann, ich bin Rory Brown, Craigs Kumpel. Er und ich – wir sind schon seit Ewigkeiten beste Freunde.“
„Dann habe ich schlechte Nachrichten für Sie ... Rory.“
„Craig ist wieder im Bau gelandet?“
Ich musste mich setzen. Das hier würde schlimmer werden, als ich gedacht hatte.
„Nein“, sagte Martin. „Er ist tot.“
Kapitel 4
Ich war weder Medium noch Psychologin, aber Rory Brown erschien mir von der Nachricht ehrlich erschüttert. Er wirkte jedenfalls völlig erschrocken und auch ein wenig ungläubig, als er zurück auf die Couch sank. „Aber vor ein paar Stunden hat er doch noch gelebt“, protestierte er, als müsste das Sterben notwendigerweise immer eine Weile dauern.
„Es tut mir leid“, sagte ich. „Er wurde letzte Nacht umgebracht. Wir fanden ihn tot auf der Treppe zur Wohnung über der Garage.“
„Wo ist Regina?“ Rory klang, als hätten sich unvergossene Tränen in seinem Hals zu einem Kloß zusammengeballt. Auch das klang echt, ich hätte es beschwören können.
„Sie ist verschwunden.“ Martin hatte seine Denkerpose eingenommen: Die Arme vor der Brust verschränkt, die Finger trommelten auf dem Bizeps. Jetzt aber schien er eine Entscheidung getroffen zu haben und steuerte das Telefon an.
„Wollen Sie die Polizei anrufen?“ Rory rutschte vom Sofa auf die Knie. „Bitte, Mann, tun Sie das nicht! Die schicken mich sofort zurück in den Knast, ich verstoße hier gegen meine Bewährungsauflagen. Ich darf mich gar nicht mit Craig treffen, und mit ihm den Staat verlassen schon gar nicht.“
„Bewährung?“ Martin klang, als sei das in seinem Bekanntenkreis ganz normal. „Dann haben Sie zusammen mit Craig gesessen?“
„Äh, ja, was soll ich sagen? Wir hatten ein paar ungedeckte Schecks ausgestellt.“
Alles klar – ein verzweifelter Schwerverbrecher war dieser Rory schon mal nicht. Wie angespannt ich gewesen war, bemerkte ich erst, als ich mich langsam wieder entspannte.
„Mit welchem Namen habt ihr diese ungedeckten Schecks unterschrieben?“, wollte Martin wissen, was ihm einen bewundernden Blick von mir eintrug. Diese Frage wäre mir nicht eingefallen.
„Na, ja ...“ Rory versuchte sich an einem charmanten Grinsen. „Mit unseren eigenen. Sonst wäre es ja auch noch Betrug gewesen, da fällt das Strafmaß härter aus.“
Mit dem Strafgesetzbuch schien unser Besucher bestens vertraut zu sein.
„Craigs Chef hätte ihm das Geld am Ende des Monats ja auch ausbezahlt, wir brauchten es nur ein bisschen früher.“
Schon wieder tauschten Martin und ich Blicke, diesmal mit hochgezogenen Brauen. Das klang alles ziemlich dämlich, Regina schien bei der Wahl ihres Ehemanns wirklich eine bedauerlich schlechte Entscheidung getroffen zu haben. Natürlich fanden einige Leute, ich hätte das Gleiche getan, als ich Martin heiratete. Ha! Mein Mann hatte wenigstens nie im Knast gesessen. Soweit ich das wusste. Ich hatte den Mund schon geöffnet, um eine in
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