Der Narr und der Tod
Telefon an. Ihr Mann war am anderen Ende der Leitung.
„Shelby?“, sagte sie. „Ich bin bei Martin und Roe, breche aber jetzt sofort auf und fahre zurück in die Stadt. Wir treffen uns zu Hause.“
Shelby verstand ich prima, jedes einzelne Wort – was daran lag, dass der Mann schrie. „Du bleibst, wo du bist! Wage bloß nicht, dich hinter das Steuer zu setzen! Ich komme dich holen!“
Erneut kam von Angel zu meiner großen Verwunderung kein Widerwort, sondern lediglich ein ruhiges: „Ist gut.“
Auch Shelby schien einen Moment lang erstaunt zu sein, denn am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Dann sagte er: „Ich bin sofort da!“ und legte auf.
Hinter Angels Rücken schlich Rory leise über den Flur. Sie bemerkte ihn nicht, aber sie hätte sich wohl auch nicht weiter dafür interessiert, wenn ein Leopard durch das Haus geschlichen wäre.
Ich rief vom Fuß der Treppe aus nach Martin, der daraufhin mit dem gerade erwachten Hayden im Arm herunterkam. Er gab sich redlich Mühe, nicht allzu unglücklich auszusehen, als ich ihm erklärte, was los war, und reichte mir umgehend das Baby.
Angel schien stehen bleiben zu wollen. Um nicht unnötig Wirbel um sie zu machen, suchte ich mir eine Beschäftigung. Ich stellte ein Fläschchen in die Mikrowelle. „Das ist keine sichere Methode zum Erwärmen von Babyfläschchen“, klärte mich Angel umgehend auf.
„Was?“
„Manchmal bilden sich heiße Klumpen, wenn man sie so erwärmt. Steht in meinem Babybuch.“
Offenbar durfte sich auf diesem Gebiet jeder als Kritiker hervortun. „Bisher hatten wir noch keine Probleme“, erklärte ich etwas steif. „Ich prüfe die Temperatur, ehe ich ihm das Fläschchen gebe.“
Angel zuckte die Achseln, als hätte sie ihr Bestes getan und es wäre nicht ihre Schuld, wenn ich mich weiterhin töricht aufführte. Ich schüttelte das Fläschchen kräftig, testete die Temperatur der Flüssigkeit an der Innenseite meines Arms und setzte mich, um Hayden zu füttern, der gerade die ersten einleitenden Laute von sich gab.
Angel zog wieder die Nummer mit dem schmerzverzerrten Gesicht ab, nur dass sie sich diesmal an der Wand abstützen musste.
„Wird es schlimmer?“, erkundigte ich mich. Martin sah aus, als wäre er lieber auf dem Mond.
„Soll ich nicht doch lieber einen Krankenwagen rufen?“, schlug er vor.
Aber er bot nicht an, Angel ins Krankenhaus zu fahren. Ob er Angst hatte, ihr könnte in seinem Mercedes die Fruchtblase platzen?
„Nein.“ Angel schüttelte entschieden den Kopf, woraufhin Martin sich Mühe gab, nicht allzu erleichtert zu wirken. „Ich weiß genau, dass es noch Stunden dauern wird. Ich versuche gerade, mich an das Gefühl zu gewöhnen. Es ist wie ein Krampf. Dann folgt die Entspannung, und nach einer Weile der nächste Krampf.“
„Tut es weh?“
„Noch nicht, aber es entwickelt sich langsam in diese Richtung. Ich hoffe, Shelby wird im Kreißsaal nicht ohnmächtig. Als ich mir vor ein paar Jahren das Bein gebrochen hatte, musste er sich übergeben“, sagte Angel.
In diesem Moment schoss ein ziemlich ramponiert aussehendes Auto unsere Einfahrt hoch und Shelby, groß, das Gesicht voller Pockennarben und so muskulös, dass er fast stämmig wirkte, sprang aus dem Auto, um in die Küche zu stürmen, noch bevor man „das Baby kommt“ hätte sagen können. Sein großzügig mit grauen Strähnen durchwachsenes Haar zeigte Druckstellen vom Helm, den er während der Arbeit tragen musste, und sein Fu-Manchu-Schnurrbart stand wild in alle Richtungen ab, als hätte er unablässig darüber gestrichen.
Shelby schüttelte Martin wortlos die Hand, küsste mich ohne einen Blick für das Baby in meinen Armen auf die Stirn und nahm seine Frau am Ellbogen, um sie eilig nach draußen zu begleiten. Angel nickte uns noch rasch zu, dann waren die beiden unterwegs zum Auto, wobei Shelby Angel so sorgsam behütete, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt, die je ein Baby geboren hatte. „Jason sagte, er würde einen von den Jungs hier rausschicken, um Angels Auto abzuholen. Ich habe ihm einen Ersatzschlüssel gegeben!“, rief uns Shelby in letzter Sekunde über die Schulter zu, ehe er sich anschnallte, um sein Auto zurück in die Stadt zum Krankenhaus von Lawrenceton zu fahren.
Rory kam aus dem Wohnzimmer, sobald Shelbys Auto nicht mehr zu sehen war. Er wirkte belustigt.
„Dann kriegt sie also ganz bald schon ein Baby, die Frau, die eben hier war?“ An der Tür zu lauschen schien für Rory Brown kein
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