Der Narr und der Tod
waren.
„Sie nimmt es recht gut auf“ – das bedeutete: „Du kennst doch meine Mutter.“
Angel nickte, sie war schon wieder ganz auf Hayden konzentriert. „Sie haben so etwas an sich“, sagte sie mit langsamer, leiser und fast schon hypnotischer Stimme. „Man würde für sie morden.“ Erneut streichelte sie ihren Bauch und auch diesmal spannte sich dieser an.
„Wenn es die eigenen sind?“
„Vielleicht nicht nur dann. Sieh ihn doch an.“ Angel beugte sich über das hellblau und grün gemusterte Reisebett, und ihr blondes Haar umrahmte das schmales Gesicht.
„Was hast du mit ihm vor, Roe? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sein Dad tot und seine Mutter verschwunden.“ Angel und ich kehrten wieder in die Küche zurück, wo sie sich an den Küchentisch setzte und ich ihr ein Glas Orangensaft eingoss.
„Wir planen, nach Corinth zu fahren, wo Regina mit ihrem Mann gelebt hat. Dort werden wir uns wohl umhören, ob jemand aus Craigs Familie ihn aufnehmen möchte. Vielleicht ist Regina bis dahin auch schon wieder aufgetaucht, und wir wissen, was Sache ist. Oder ... wir schaffen es, Kontakt zu Barby herzustellen. Wenn sie ihre Kreuzfahrt abbricht und zurückfliegt, landet sie in Pittsburgh, das ist von Corinth aus gesehen der nächste Flughafen.“
Mein Gott, was hörte sich das alles dünn und unsicher an!
„Wäre es nicht besser, hier zu bleiben?“ Angel leerte ihr Glas in einem Zug und stellte es auf dem Tisch ab, rückte auf die Stuhlkante vor und massierte sich geistesabwesend das Kreuz. Plötzlich kennzeichnete eine gewisse Spannung ihr Gesicht, die aber gleich wieder verschwunden war. „Immerhin ...“ Sie holte tief Luft. „Wenn Regina flüchten kann oder zurückkommt ...“, wieder lief auf ihrem Gesicht die Nummer mit der Anspannung und Entspannung ab, „dann wird sie hierher kommen, um ihr Baby ...“ Diesmal entspannte sich Angels Gesicht eine ganze Weile nicht mehr.
„Angel?“
„Ich glaube ...“, sagte sie langsam und nachdenklich. „Ich glaube, heute könnte vielleicht doch der große Tag sein.“
In null Komma nichts war ich auf den Beinen. Ich hatte bereits einmal eine Geburt miterleben dürfen, erneut wollte ich das auf keinen Fall mitmachen. „Ich fahre dich ins Krankenhaus, lass mich nur schnell meinen Mantel holen.“
„Nein, wenn du mich fährst, gibt es ein Riesendurcheinander mit den Autos.“ Das klang noch sehr klar, aber eigentlich schien sie all ihre Aufmerksamkeit nach innen gerichtet zu haben. „Dann wäre mein Auto hier draußen, und was weiß ich denn, wann ich es holen könnte. Ich fahre nach Hause und warte, bis Shelby von der Arbeit kommt.“
„Ruf ihn von hier aus an.“
„Gut.“ Angels schnelles Nachgeben steigerte meine Panik nur noch mehr, denn rasche Kapitulationen gehörten eigentlich nicht zu ihrem Repertoire. „Lass mich nur schnell auf die Toilette.“
Ängstlich baute ich mich vor der Tür des Gästebads auf.
„Heute ist eindeutig der große Tag“, verkündete Angel, als sie wieder aus dem Bad trat. Ihr Ton war nach wie vor flach und ruhig, aber darunter brodelte eine kaum unterdrückte Erregung, die dringend nach oben wollte. Vorsichtig, als fürchtete sie, jeden Moment von etwas gepackt zu werden, ging sie zum Telefon an der Küchenwand. Ich hüpfte wie ein Gummiball um sie herum, hätte gern geholfen, wusste nicht wie, versuchte, nicht im Wege zu stehen, und hatte heftigste Ängste, weil ich dachte, sie würde das Baby womöglich gleich hier an Ort und Stelle zur Welt bringen.
Angel wählte Shelbys Nummer auf der Arbeit und wartete mit diesem nach innen gerichteten Blick in den Augen, bis jemand abhob.
Endlich vernahm ich am anderen Ende der Leitung eine quakende Stimme.
„Jason Arlington, sind Sie das? Angel hier, ich muss mit Shelby sprechen.“
Die leicht blecherne Stimme quakte weiter.
„Ja, meinetwegen können Sie auch die Sirenen tönen lassen.“ Angel klang inzwischen so, als hinge ihre Geduld an einem sehr dünnen Faden halten. Das Heulen der Sirene war durch das Telefon deutlich zu hören.
„Shelbys Team findet es zum Schreien komisch, dass er jetzt erst zum ersten Mal Vater wird.“ Angel verdrehte die Augen. „Sie haben diese Sirene installiert, damit sie ihn rufen können, wenn ich anrufe. Das Heulen hört man überall auf dem Werksgelände.“ Ihr Gesicht wurde hart, die Knöchel der Finger, mit denen sie das Telefon hielt, färbten sich schneeweiß. Dann entspannte sie sich langsam und lächelte das
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