Der nasse Fisch
Rath, den Stolz der Kölner Polizei. Und in Weinerts Buick fuhr es sich besser als in einem von Käses Ausflugsbussen, eingepfercht in einer Menge lärmender Touristen. Aber so bald rechnete Rath eigentlich nicht mit Besuch.
Erst zweimal hatte sein Vater ihn in Berlin angerufen, beide Male im Präsidium, und sich immer nur kurz erkundigt, wie sein
Sohn sich denn in der Inspektion E so eingelebt habe. So kannte Rath seinen alten Herrn, seit er denken konnte: immer dienstlich,
niemals privat. Nur Mutter hatte schon mehrfach seinen privaten Telefonanschluss in der Nürnberger Straße gewählt, doch auf
ihre besorgten Anrufe konnte er verzichten. Da war ihm sogar die Unnahbarkeit seines Vaters manchmal lieber.
Am Potsdamer Platz musste er an der Kreuzung warten. Viertel nach drei. Die Ampel am Verkehrsturm sprang gerade wieder auf
Grün, als er das Plakat an der Litfaßsäule sah. Er hatte schon Gas geben wollen, doch nun ließ er den Fuß auf der Bremse.
Hinter ihm hupte ein Taxifahrer. Rath ließ das Taxi passieren, bog in die Potsdamer Straße und suchte einen Parkplatz. Kurz
hinter Josty fuhr er rechts ran, stieg aus und lief die paar Meter zurück zu der Straßenecke. Vor der haushohen Plakatwand, die einen
Bauplatz vom Gehweg abschirmte, stand die Litfaßsäule. Ihre Buchstaben kamen wesentlich kleiner und bescheidener daher als
die monströsen Schriften an der Wand dahinter, doch er hatte richtig gelesen. Ilja Tretschkow spielt , verkündete ein Plakat, das Gäste in den Europa-Pavillon locken sollte. Rath notierte sich die Uhrzeiten und ging vergnügt zurück zum Auto. Das wär doch was für eine Verabredung
mit Charlotte Ritter, dachte er, im Europahaus gab es zudem einKino. Alles in allem war der Tag doch recht erfolgreich verlaufen. Jetzt musste sich nur noch zeigen, was der Abend brachte.
Weinert wartete bereits draußen, als Rath in die Nürnberger Straße zurückkehrte. Es war fünf vor vier. Er ließ den Wagen direkt
vor den Füßen des Journalisten ausrollen, zog die Handbremse und stieg aus.
»Pünktlich wie die Maurer«, meinte Weinert anerkennend und setzte sich auf den Fahrersitz. »Und? Wie hat dir der Wagen gefallen?«
»In jedem Fall besser als die BVG.«
»Das will ich meinen.« Weinert löste die Bremse und legte einen Gang ein. »Na, dann viel Spaß beim Beamtentreffen«, rief er
über die Schulter und gab Gas.
Rath konnte sich keinen Reim auf diese Worte machen. Als er die Wohnungstür aufschloss, hörte er Stimmen aus der Küche. Die
Behnke hatte Besuch. Herrenbesuch. Seit er in diesem Haus wohnte, war das noch nie vorgekommen.
Er ging schnurstracks in sein Zimmer und hängte den Mantel auf. Sein Blick fiel auf den Pharus-Plan an der Wand. Gestern hatte
er den Stadtplan dort hingehängt, neben den kaputten Kleiderschrank, eine Blechdose mit Stecknadeln in der Hand. Die erste
hatte er in den Landwehrkanal gesteckt, gleich neben die Möckernbrücke, wo man Boris’ Leiche aus dem Kanal gefischt hatte,
die zweite in die Nürnberger Straße 28, wo Boris kurz vor seinem Tod nach Alexej Kardakow gesucht hatte. Am Luisenufer, am
Zoo in Höhe des Café Berlin, und in der Lutherstraße im Eldorado steckten weitere Nadeln. Die Spur von Kardakow. Sie führte bis zum Küstriner Platz. Das Plaza . Dort saß der Mann, von dem Kardakow das Kokain bekam. Rath trat einen Schritt näher an den Plan heran und zog die Nadel
wieder heraus, die an der Kantstraße den derzeit verwaisten Delphi-Palast markierte, und piekste sie neben dem Anhalter Bahnhof durch das Papier; das Europahaus in der Königgrätzer Straße. Wo Ilja
Tretschkow ein neues Engagement gefunden hatte. Und hoffentlich auch Lana Nikoros.
Rath zog die Fotos der beiden Russen aus der Tasche, den edlen Abzug von Kardakow und den Zeitungsausriss mit dem toten Boris,
und hängte sie mit Heftzwecken neben den Plan, dann das Delphi -Programmheft mit dem Porträt der Sängerin. Was hatten diese drei miteinander zu tun? Die Sängerin war Kardakows Freundin,
sie war Russin. War sie vielleicht mit Boris verheiratet? Das Liebespaar brachte den Ehemann um und floh? Wäre nicht das erste
Mal, dass so etwas passiert. Rath schüttelte den Kopf, ohne es zu merken. Er nahm noch die Visitenkarte von Josef Schneid
aus seiner Brieftasche und klemmte sie an das Programmheft.
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete den Pharus-Plan, wie ein Künstler sein Werk betrachtet. Manchmal erkannte er
so irgendein
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