Der nasse Fisch
Generaldirektor hörte sich sehr verständnisvoll an. »Ein hübscher Kerl!« Er lachte. »Na, wenn Vivian wüsste,
wen sie da gerade verführen wollte!« Der Graubärtige klopfte ihm auf die Schulter, sich vor Lachen schüttelnd. »Nichts für
ungut, junger Freund, nichts für ungut.«
Wieder einer, dem er das Bild zeigte und der glaubte, er sei schwul! Auch gut. Besser, als an solch einem Ort für einen Bullen
gehalten zu werden. Der Kellner kam und brachte eine zweite Flasche Champagner. Die gebrauchten Silberröhrchen und die Zuckerdose
räumte er ab. Er warf einen auffallend unauffälligen Blick auf das Foto und verschwand wieder.
Der Generaldirektor hatte sich inzwischen wieder gefangen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Aber das ist einfach zu komisch. Ich glaube,
das ist Vivian noch nie passiert. Sie hat schon mit Frauen angebändelt, aber mit einem homosexuellen Mann …« Er holte ein
Monokelaus der Weste und betrachtete das Foto eingehend. »Tut mir leid«, sagte er schließlich, »aber ich fürchte, ich kenne Ihren
Freund nicht. Kommt er regelmäßig hierher?«
Rath wollte antworten, aber am Gesicht des Graubärtigen sah er, dass jemand hinter ihm stehen musste. Er drehte sich um und
sah einen Mann in einem eleganten weißen Smoking. Über seinen blitzenden Augen schimmerte eine Halbglatze im roten Licht.
Er lächelte, und seine Augen warfen Falten.
»Wie ich sehe, amüsieren Sie sich, Herr Oppenberg! Das freut mich!« Der weiße Smoking machte eine Verbeugung. »Sebald. Ich
bin der Geschäftsführer dieses Etablissements.«
»Angenehm.«
»Leider muss ich Ihren Begleiter kurz entführen.«
»Ich hoffe, Sie werfen ihn nicht hinaus!« Oppenberg lachte und zündete sich eine Zigarre an. »Wir führen gerade ein amüsantes
Gespräch, das ich gern fortsetzen möchte.«
»Gewiss, Herr Oppenberg. Es wird nicht lange dauern.« Der Geschäftsführer wandte sich Rath zu. »Darf ich Sie bitten, mir zu
folgen. Jemand möchte sich mit Ihnen unterhalten.«
Rath kam gar nicht auf die Idee zu widersprechen. Er steckte das Bild ein und folgte Sebald durch den Saal. Der Geschäftsführer
öffnete eine Tür direkt neben der Tanzfläche. Dort zog Engel Vivian inzwischen mehr Blicke auf sich als die drei Akteure auf
der Bühne. Sie hatte sich ihr Kleid nach unten geschoben und tanzte barbusig auf der Orchesterempore. Sie hatte einen schön
gerundeten Busen. Wie frische Äpfel. Die Augen der Herren strahlten. Die der Damen weniger. Der Geschäftsführer lächelte und
zuckte die Achseln, als wolle er sagen: So ist das eben im Venuskeller ; so etwas erleben Sie nur bei uns.
Stattdessen sagte er: »Hier entlang bitte.«
Sie betraten einen modern eingerichteten Büroraum. Rath hatte erwartet, Marlow dort sitzen zu sehen, doch der Lederstuhl an
dem riesigen Schreibtisch war leer. Sie durchquerten den Raum, an dessen Ende Sebald eine zweite Tür öffnete. Eine Treppe
führte nach oben. Auf dem Hof wartete der Gorilla von der Eingangstürmit Raths Hut und Mantel. Er drückte ihm die Sachen in den Arm und begann ihn zu filzen.
»Wo gehen wir denn hin?«, fragte Rath.
Der Gorilla zog Raths Mauser aus dem Jackett, dann die Brieftasche und reichte Sebald beides mit einem entschuldigenden Achselzucken.
»Du lässt nach, Benno!«, sagte der Geschäftsführer kalt und zog den Dienstausweis der preußischen Polizei aus der Brieftasche.
»Rath, Gereon, Kriminalkommissar«, las er. »Erst lässt du einen mit Knarre passieren, und dann ist es auch noch ein Bulle!«
Benno versuchte zerknirscht zu wirken, wenn das einem von seiner Statur überhaupt möglich war. Rath fand, dass es ihm nicht
sonderlich gut gelang.
»Na ja!« Sebalds Laune schien sich schnell wieder zu bessern. Das alte Lächeln hatte zurück in sein Gesicht gefunden. »Dass
ein dem illegalen Vergnügen nicht abgeneigter Filmproduzent und eine kokainsüchtige Schauspielerin ausgerechnet mit einem
Bullen im Schlepptau zu uns kommen, damit muss man ja nicht rechnen. Und wenn dieser Bulle selbst kokst, ist es ja eigentlich
auch gar nicht so schlimm. Dann ist er ein Gast wie jeder andere.« Er steckte die Brieftasche und die Mauser ein. »Ich darf
annehmen, dass Ihr Besuch privater Natur ist.«
»Rein privat.«
Die beiden Männer führten ihn zurück auf die Posener Straße. Und auch der Rest des Weges kam ihm bekannt vor. Es ging zurück
zum Ostbahnhof. Doch diesmal
Weitere Kostenlose Bücher