Der Nautilus-Plan
Milliarde Dollar geschätzt wurde, legte er wenig Wert auf Luxus. Den Travellers Club schätzte er, weil er diskret, nicht weil er chic war, weil dort die Privatsphäre hundertprozentig gewahrt blieb, und ganz besonders, weil er die Leute, mit denen er Geschäfte machte, mit seinem besonderen Flair beeindrucken konnte.
Obwohl er erst Anfang fünfzig war, litt er unter erhöhtem Blutdruck. Hinter seiner Anspruchslosigkeit und seiner scheinbar lockeren Art verbargen sich Gerissenheit und grenzenloser Ehrgeiz. Immerhin hatte sein Urgroßvater den Hoover-Damm gebaut, und sein Großvater war wegen der zahlreichen Kriegsschiffe, die unter den erschwerten Bedingungen während des Krieges in den Werften des Konzerns gebaut worden waren, als der staatstragende Industrielle des Zweiten Weltkriegs schlechthin gefeiert worden.
Dennoch hatte sein Vater beide übertroffen, indem er die Alaska-Pipeline verlegte und nach dem Golf-Krieg von 1991 die brennenden Ölquellen Kuwaits löschte. Als sein Vater ihm gegenüber seinen zwei Brüdern den Vorzug gab und ihm das Familienimperium übertrug, nahm Gilmartin Enterprises auf dem Bausektor weltweit die unangefochtene Spitzenposition ein. Seitdem wurde der Konzern jedoch von ehrgeizigen jüngeren Firmen, die sich durch eine aggressive Preispolitik und eine ausgeprägte Fusionsbereitschaft auszeichneten, massiv bedrängt.
Aber Atlas war kein Finanzier. Er war ein Ingenieur, der von einer langen Reihe von Ingenieuren abstammte. Wie sie führte er Gilmartin Enterprises mit eiserner Hand. Im Gegensatz zu ihnen hatte er dem Unternehmen jedoch noch nicht seinen Stempel aufgedrückt. Er hätte niemandem gegenüber zugegeben, wie sehr ihn das belastete. Doch das würde sich in Kürze ändern.
Als endlich sein Handy läutete, war so viel Zeit vergangen, dass er bereits fest mit schlechten Nachrichten rechnete.
Es war Santarosas Assistent, der sich ausgiebig entschuldigte. »Dem Herrn Kommissar tut es außerordentlich Leid, Senhor Gilmartin.«
Atlas – Gregory Gilmartin – erwiderte glatt: »Sagen Sie ihm bitte, ich bin enttäuscht.« Wie ein Skalpell zog der Zeigefinger seiner freien Hand eine scharfe Linie über das Tischtuch.
»Senhor Santarosa ist gleichermaßen enttäuscht«, entgegnete der Mann höflich. Santarosa war Portugiese, genau wie sein Assistent, dessen Englisch einen starken Akzent hatte. Kleine Leute aus einem kleinen, unbedeutenden Land.
Gilmartin verlieh seiner Stimme einen schneidenden Unterton. »Ich erwarte, dass er sich morgen einen Termin für ein Gespräch unter vier Augen freihält. Bestellen Sie ihm das.«
Darauf trat eine Pause ein. »Das geht nicht …«, begann der Assistent stockend.
Gilmartins anderes Handy begann lautlos an seiner Brust zu vibrieren. Er knurrte: »Sagen Sie es ihm!« Er unterbrach die Verbindung. Während er sein Privathandy aus seinem Jackett nahm, ließ er den Blick kurz über die anderen Gäste des Salons wandern, bevor er ihnen den Rücken zudrehte.
»Hier Atlas.«
»Sind Sie noch in Paris, Atlas?«
»Natürlich. Was gibt es Neues?«
»Wir müssen uns treffen. In zwei Stunden, in meinem Haus in London.«
»Heute Abend? Warum so spät, Kronos?«
»Es ist wegen der Aufzeichnungen. Möglicherweise müssen wir neu planen.«
»Das überrascht mich gar nicht. Wenn keine solide Basis besteht, bricht das Projekt zusammen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich war sowieso nie davon überzeugt, dass diese Aufzeichnungen überhaupt existieren. Es ist gut möglich, dass wir einem Hirngespinst hinterherjagen.«
Für Okeanos war es kein gutes Jahr gewesen. Ein paar Schritte von der Barockkirche Saint-Louis-en-l’Ile befand sich einer seiner bevorzugten Zweitwohnsitze, ein herrliches Stadthaus, das zur Zeit Ludwigs XIV. von einem französischen Herzog erbaut worden war und sich im Besitz seines Automobilkonzerns befand.
Nur mit einer Leinenhose bekleidet, saß Okeanos mit nacktem Oberkörper in seinem herrschaftlichen Schlafzimmer angespannt auf einem Empire-Sessel und versuchte, an nichts zu denken. Cecily, die sich für ihn fertig machte, sang im Bad leise vor sich hin. Er war ein energiegeladener Mittfünfziger mit vollem schwarzem Haar, einer abfallenden preußischen Nase, die Bismarck alle Ehre gemacht hätte, und einer kräftigen Statur, die er nie ins Fette hatte abgleiten lassen. Er war charmant, aber zugleich absolut unnachgiebig, sei es auf einem rauschenden Fest oder bei einer hitzigen Vorstandssitzung.
Er hatte
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