Der Nautilus-Plan
Stimmen. Sie wurden lauter.
Sie nahm Anlauf. »Achtung, ich komme.« Mit den Armen Schwung holend, ging sie in die Knie und sprang mit ausgestreckten Händen nach oben.
Simon bekam sie an den Handgelenken zu fassen. Er ächzte vor Anstrengung.
Sie packte ihn an den Handgelenken. Von der Wunde in ihrem Arm schossen heftige Schmerzen durch ihren Körper. Sie blendete sie einfach aus. Nicht jetzt. Während sie hilflos in der Luft baumelte, überkam sie einen Moment dieselbe Angst vor der Leere wie damals in Santa Barbara bei ihrem Sturz vom Kliff. Mit verzerrtem Gesicht und weit hervortretenden Halsadern, die Augen vor Anstrengung fest zusammengekniffen, zog Simon sie hoch und durch die Öffnung.
Sie blieb auf dem Boden liegen und schnappte nach Luft. »Danke, das …«
Ebenfalls schwer atmend, hielt Simon einen Finger an seine Lippen, klappte die Falltür zu und ging in die Hocke. Durch ein Fenster fiel buntes Neonlicht auf sein Gesicht.
Liz richtete sich auf und hockte sich neben Simon. Gemeinsam lauschten sie.
Wieder wurden Stimmen laut, diesmal direkt unter ihnen. Liz hielt ihre Glock fest umklammert und sah Simon an. Sie verspürte die gleiche Angst, die sie immer überkam, wenn sie wartete. Aber so schnell die Stimmen gekommen waren, verschwanden sie auch wieder.
Simon ließ erleichtert den Atem entweichen und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Davon blieb ein rußiger Streifen zurück. »Das war verdammt knapp.«
»Es hätte durchaus schlimmer kommen können.« Heiß wie Lava strömte das Adrenalin durch ihre Adern.
Sie sahen sich in einem Moment absoluter Aufrichtigkeit gegenseitig an.
»Scheiße!«, platzte Liz heraus.
Er ließ seinen lange angehaltenen Atem entweichen. »Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
»Scheiße! Scheiße! Scheiße!«
»Welcher Teufel hat mich nur geritten, mit so etwas mein Geld zu verdienen!«
Sie atmeten mehrmals tief ein und sahen sich, durch eine verstörende Wahrheit verbunden, in die Augen.
»Das waren vielleicht aufregende Tage«, sagte sie schließlich.
»Das kannst du laut sagen. Und wir wissen immer noch nicht, wo die Aufzeichnungen sind.«
»Oder Sarah und Asher.«
»Sehr, sehr unerfreulich.«
Liz ließ sich auf den Hosenboden nieder und schlug die Beine übereinander. Nach ihrem Wutausbruch ging es ihr langsam wieder besser. »Du sagst ganz schön oft verdammt. «
Er sank neben ihr nieder, streckte die Beine aus, schlug die Fußgelenke übereinander und lehnte sich, auf seine Hände gestützt, zurück. »Nur in einem Moment wie eben. Du fluchst auch nicht gerade wenig – falls es dir noch nicht aufgefallen ist.«
»Das muss an der Situation liegen. Ich muss dringend was essen und schlafen und eine Weile nicht an Tod und Habgier und Zerstörung denken.«
»Wenn das so ist, bist du hier genau richtig.« Mit einem schelmischen Grinsen zeigte er auf ihre Umgebung.
Zuerst bewegten sich ihre Augen, dann ihr Kopf. In der Spiegeldecke des Zimmers, in dem sie sich befanden, spiegelte sich ein ausladendes Bett mit einer Tagesdecke aus violettem Samt. Vor dem Kopfteil, das mit einem ausnehmend gut bestückten Schaukelpferd bemalt war, lagen kleine Kissen in Form von diversen Geschlechtsteilen. Die Wände zierten Zeichnungen nackter Frauen und Männer in einer Vielzahl aufreizender Posen. Durch eine Tür waren ein Bidet und eine Kloschüssel zu sehen, eine andere Tür führte in eine kleine Küche, alles beleuchtet von den grellen Neonlichtern, die durch das einzige Fenster drangen.
Liz lachte schallend los. »Wer hätte das gedacht!«
»Stell dir mal die Freude der Widerstandskämpfer vor.«
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«
Die Falltür befand sich neben einer schweren Kommode. Liz stand auf.
Simon sah, was sie vorhatte. »Warte, ich helfe dir.«
Sie stemmte sich mit der Hüfte gegen die Kommode. »Nicht nötig. Frauen verrücken schon seit tausenden von Jahren Möbel.«
Trotzdem lehnte auch er sich mit der Schulter dagegen, und gemeinsam schoben sie die Kommode auf die Falltür. Als er sich vergewissert hatte, dass die Tür des Apartments von innen verriegelt war, huschte Simon ans Fenster und spähte, mit dem Rücken gegen die Wand gepresst, nach draußen. Sein Kinn war dunkel von Bartstoppeln. Sein Haar war staubig. Sein braunes Sportsakko war schmutzig. Liz wollte ihn plötzlich fragen, wie er zu seiner krummen Nase gekommen war. Stattdessen kniete sie neben seiner Sporttasche nieder und nahm die drei Großabzüge mit den
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