Der Nautilus-Plan
es unsere Pflicht zu handeln. Jahrhundertelang hatten Kaiser und Könige versucht, Europa mit kriegerischen Mitteln zu vereinen. Uns allen war klar, dass dieser Schritt unerlässlich war, dass er aber auf keinen Fall durch einen weiteren großen Krieg herbeigeführt werden durfte. Kriege sind einfach zu teuer, zu destruktiv, und nur wenige profitieren von ihnen. Abgesehen davon hatten wir eine Vision von einem friedlich vereinten Europa … einer engeren Zusammenarbeit mit Amerika … und dem Ende von Faschismus und Kommunismus. Da diese erste Zusammenkunft sehr erfolgreich verlief, hielten wir zwei Jahre später in einem Urlaubsort an der französischen Atlantikküste im Hôtel Nautilus ein weiteres, offizielleres Treffen ab.«
»Daher also der Name Nautilus«, sagte Simon.
Liz war in Gedanken ganz woanders. »Die CIA muss daran beteiligt gewesen sein. Ihr oberstes Mandat war, mit Gruppen und Einzelpersonen zusammenzuarbeiten, die die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern versuchten.«
»Ja, natürlich. Wild Bill Donovan und Allen Dulles waren uns eine große Hilfe, und die CIA wurde einer unserer wichtigsten Geldgeber. Aber seit dem Ende des Kalten Krieges spielt sie eine weniger wichtige Rolle. Was deine Anschuldigungen gegen Nautilus in seinem heutigen Gewand angeht, Simon, siehst du die Sache zu einseitig. Ja, eines unserer Hauptziele war, die industrialisierte Welt zu vereinen. Genau das, was man heute Globalisierung nennt. Und das hatte einen ganz einfachen Grund. Die Geschichte lehrt uns nämlich: Wenn Nationen auf sich selbst gestellt bleiben, definieren sie sich rein territorial, und Kriege sind unvermeidlich.«
»Ich bin auf keinen Fall für mehr Krieg«, sagte Liz, »aber in den letzten fünfzig Jahren gab es eine Menge ›kleiner‹ Kriege. Und Nautilus hat sie nicht verhindert.«
»Vielleicht findet Nautilus einige dieser Kriege sogar gut«, sagte Simon.
Henry sah ihn scharf an. »Wie meinst du das?«
Simon löste sich vom Kamin. Er setzte sich wieder, schlug die Beine übereinander und sah Henry an. »Vielleicht hält Nautilus kleine Kriege für notwendig, wenn es um Öl oder Gebietszuwachs oder irgendeine andere Form von Profit geht. Eine der seltenen Ausnahmen war, dass Europa nicht mitgespielt hat, als Amerika den Irak angriff. Aber diese Uneinigkeit war weniger auf moralische Überlegungen zurückzuführen als auf Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Verteilung der Ausbeute und der Frage, wem hinterher der größte politische Einfluss zufiele.«
Liz, die bisher unruhig auf und ab gegangen war, blieb stehen. »Wenn Nautilus so viel Einfluss hat, warum kann er dann al-Qaida und diesen Staaten, die den Terror unterstützen, keinen Einhalt gebieten?«
»Nautilus sieht das alles langfristig«, theoretisierte Simon. »Al-Quaida und alles, was damit zusammenhängt, ist ein Problem, das Nautilus gern sofort lösen würde, aber nicht lösen kann, weil die Köpfe dieser Terrornetzwerke Fanatiker sind und nicht auf die üblichen Anreize ansprechen – man kann sie nicht bestechen, weil sie nichts anderes wollen, als ihre ›Feinde‹ zu töten. Das heißt, uns. Außerdem interessieren Nautilus Terroristen auf lange Sicht nicht, weil Terroristen und Terrorstaaten in der Weltwirtschaft nur eine marginale Rolle spielen. Im Zuge des zunehmenden ökonomischen Zusammenschlusses der Welt werden sie entweder zerschlagen, oder sie nehmen die richtige ›Religion‹ an und werden Kapitalisten.«
»Im Zuge des zunehmenden ökonomischen Zusammenschlusses?«, fragte Liz. »Was meinst du damit?«
Henry räusperte sich. »Also schön, Simon, ich habe dir aufmerksam zugehört. Jetzt bin ich an der Reihe. Zwei Menschen können denselben Wald ansehen und etwas völlig anderes wahrnehmen. Einer sieht finstere Schatten – einen unheimlichen Ort voller Gefahren –, während ein anderer strahlendes Licht sieht, das zwischen den Bäumen hindurchfällt. Wo du Schatten und Dunkelheit siehst, sehe ich Licht und Hoffnung.« Er wandte sich Liz zu. »Simon bezieht sich auf die Tatsache, dass eine der ersten Errungenschaften von Nautilus in den Fünfzigerjahren die Einführung der EWG war, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.«
»Die EU war eine Idee von Nautilus?«, fragte Liz. »Die kleine EWG, aus der inzwischen die riesige Europäische Union geworden ist?«
»Das war alles unsere Idee, und wir haben sie im Lauf der Jahre mit sichtlichem Erfolg in die Tat umgesetzt: Inzwischen haben wir ein vereintes
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