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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Lynds
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zu haben, während die Demonstranten wie gebannt die mutige junge Frau beobachteten.
    Als Blase unschlüssig einen Schritt nach vorn machte, fuhr ihn einer der Marines aus der Botschaft auf Englisch an: »Halt! Keinen Schritt weiter!«
    Er wollte dem Marine gerade über den Mund fahren, doch dann sah er das Gesicht des Mannes. Es wurde immer bleicher, als er in Vieras Richtung blickte.
    Blase wirbelte herum und sah, wie Viera den Eimer, den sie bei sich hatte, hochhob, den Deckel abnahm und sich eine bernsteinfarbene Flüssigkeit über die Schultern goss, sodass ihr Körper und ihr Kleid damit getränkt wurden.
    »Nie!« , rief jemand entsetzt auf Slowakisch. »Das ist Benzin!«
    »Viera!«, schrie Blase und stürmte an dem Marine vorbei auf sie zu. »Was machst du da? Lass das! «
    »Benzin!« Von ungläubigen Stimmen getragen, pflanzte sich das Wort, entsetzt anschwellend, in wechselnden Sprachen durch die Menge fort.
    »Benzin! Haltet sie zurück !«
    Blases Herz schlug wie verrückt, und sein Verstand versuchte vergeblich, das Unfassbare zu begreifen, als er auf sie zurannte. Sie sah so klein und verletzlich aus inmitten der Demonstranten und Polizisten und Marines, mit dem imposanten Botschaftsgebäude im Hintergrund. Aber da war dieser Ausdruck in ihrem Engelsgesicht, dieser Blick, der sagte, das bin ich. Ich habe Recht. Das ist richtig.
    »Haltet sie auf!«, schrie Blase verzweifelt, erst auf Slowakisch, dann auf Englisch. »Jemand muss sie aufhalten!«
    Aber dazu war keine Zeit mehr. Sie handelte blitzschnell, so, als ob sie es oft geprobt hätte. Während er und andere auf sie zustürzten, zog sie eine kleine Lötlampe aus ihrer Sporttasche und drückte auf einen Knopf. Sofort schoss eine Flamme heraus. Sie drehte sie um und richtete sie auf sich selbst.
    »Viera!«, schrie Blase.
    »Haltet sie auf.« Es war die verzweifelte Stimme ihres Bruders Johann, der sich durch die Menge zwängte. »Lasst sie es nicht tun! Hilfe! Haltet sie zurück! «
    Sie explodierte in einem Feuerball. Einen Augenblick lang erschien es fast wie im Märchen – die schöne Prinzessin, die in einem hell leuchtenden Feuergefäß für immer erhalten wird. Doch dann löste sich ihr Rock in nichts auf, ein Stück Stoff wurde zu Gas. Halbnackt streckte sie die Hände durch die Flammen den Demonstranten entgegen, und ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie etwas sagen. Sie legte sogar den Kopf auf die Seite, und ihr Gesicht schien verwundert.
    Grauer Rauch entwich ihrem offenen Mund, und ihr Körper sackte in die Richtung, in der sich ihr Kopf geneigt hatte.
    Wie gelähmt versuchte Blase zu verstehen, was sie gerade getan hatte. In seinem Schockzustand hörte er zunächst den Lärm nicht, spürte er nicht den Aufruhr, der die aufgebrachte Menge erfasste.
    Vieras Körper rauchte. Flammen umzüngelten ihn. Wind kam auf und trug den schrecklichen Geruch von verbranntem Fleisch über die Demonstranten hinweg in die schwüle Nacht.
    Schlagartig brach ein wilder Tumult los. Demonstranten stürmten auf Polizisten und Marines zu. Schüsse fielen, wie aus Kanonen abgefeuert. Wasserwerfer spritzten in die Menge, Menschen schrien entsetzt auf. Ein Fahrzeug wurde umgestürzt, dann noch eines. Drei Autos wurden in Brand gesteckt, und riesige Stichflammen schossen gelb und rot in den schwarzen Nachthimmel empor.
    Es war eine Neuauflage der Unruhen während der Tagung von IWF und Weltbank in Prag, aber für Blase war es wesentlich schlimmer. Im Mahlstrom gefangen, versuchte er sich zu Viera durchzukämpfen.
    Während er schob und drängte, spürte er, wie eine Hand blitzschnell in seine Gesäßtasche und wieder herausglitt. Er fasste sofort hinter sich und wirbelte herum, aber niemand stach aus der Menge heraus. Bevor er weiter zum Nachdenken kam, schoss eine Faust an seinem Ohr vorbei, und ein Stiefel stampfte auf seinen rechten Fuß nieder. Ein stechender Schmerz schoss bis in seinen Kopf hoch.
    Er duckte sich, schlug zurück und zwängte sich weiter durch die Menge, dabei ständig das Bild Vieras schrecklicher Selbstopferung vor Augen, das alles andere aus seinem Kopf verdrängte. Er musste unbedingt zu ihr durchkommen. Vielleicht täuschte er sich. Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet.
    In seiner Brust verdichtete sich tiefer Schmerz. Er machte sich etwas vor. Weitere Polizisten und Reporter stürzten sich in das Getümmel, und er wurde von einem weiteren sinnlosen Kampf aufgehalten. Zusammen mit Dutzenden anderer wurde er festgenommen

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