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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Lynds
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einen abgetragenen Morgenmantel und Pantoffeln. Sie strich den Morgenmantel glatt, drehte sich um und ging etwas unbeholfen in die Wohnung zurück, allerdings immer noch mit der stolzen Haltung, die Liz von früher in Erinnerung hatte. Das Bett stand in einer Ecke, und gegenüber befand sich eine Sitzgruppe. Dazwischen war die Kochnische. Telefon gab es keines. Im Moment wahrscheinlich zu teuer.
    Liz betrat die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. »Ich habe deine Adresse aus dem Internet. Wie geht’s dir so, Tante Tish?«
    »Ach, du meine Güte. Aus dem Internet? Damit werde ich mich wohl nie mehr anfreunden. Aber lass bitte diesen ›Tante‹-Unsinn. Da fühle ich mich ja noch älter. Außerdem bin ich ja gar nicht mehr deine richtige Tante.«
    »Und ob du das noch bist. Einmal Tante, immer Tante.«
    »Das ist wirklich nett von dir, Liz. Möchtest du dich vielleicht dort drüben setzen? Dort ist es zumindest sauber.«
    Das Sofa, das sie meinte, war durchgesessen und verblichen, aber ordentlich. Liz nahm Platz und sah zu, wie Tish das Gas unter einem Wasserkessel aufdrehte. Durch das einzige Fenster fielen die Strahlen der tief stehenden Abendsonne. Im Zimmer war es kühl geworden, und die einzige Wärme kam vom Herd, wo auf einer Gasflamme eine große Kaffeedose ohne Deckel und Boden stand, in deren Seiten Löcher gestanzt waren. Keine sehr wirksame Heizung, aber eine billige: In England waren die Energiepreise wieder einmal in astronomische Höhen gestiegen.
    Liz erzählte erst einmal munter drauflos, während Tish Wasser heiß machte, um Tee zu kochen.
    »Leider habe ich nur Orange Pekoe«, sagte Tish. »Aber ich trinke ihn sehr gern.«
    Liz vermutete, dass es ihre einzige Teesorte war – einfach und billig. »Eine meiner Lieblingssorten«, versicherte sie Tish. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    »Danke, ich komme schon zurecht.«
    Tish stülpte einen gehäkelten Teewärmer über die Teekanne. Dann stellte sie die Kanne, ein Milchkännchen und zwei Teetassen auf ein Tablett und trug es zu dem verschnörkelten Couchtisch. Ihre Schritte waren eckig und ungelenk. Schließlich ließ sie sich in einen ramponierten Ohrensessel sinken und beugte sich vor, um das Tablett auf den Tisch zu stellen. Über die Rückenlehne des Sessels war eine elektrische Heizdecke geworfen.
    Liz sagte: »Ich möchte ja nicht neugierig sein, aber hast du nach der Scheidung von Mark keinen Unterhalt oder irgendeine Abfindung bekommen?«
    Tish prustete vor Lachen. Sie ließ sich gegen die Heizdecke zurücksinken und wischte sich die Augen. »Du bist gut. Mark hatte nie auch nur einen Penny übrig, meine Liebe. Warum, glaubst du wohl, hatten wir keine Kinder? Ich musste mich ja schon um ein Kind kümmern. Um ihn !« Sie fasste an die Seite des Sessels und drückte auf einen Knopf. »Die Heizdecke ist gut für meinen kaputten Rücken. Würdest du bitte den Tee einschenken, meine Liebe?«
    »Mit Vergnügen.«
    Der Teewärmer war einmal elegant gewesen, von Hand gehäkelt und kunstvoll gefältelt und gerafft, aber inzwischen war er nur noch schäbig. Liz goss zuerst Milch in die Tassen und dann durch ein Sieb den Tee. Aus Sparsamkeitsgründen war der Tee dünn. Doch die Tassen waren aus echtem, mit zarten gelben Rosen verziertem Porzellan, ein klassisches Muster, das Liz schon Jahre nicht mehr gesehen hatte.
    Sie griff nach ihrer Tasse. »Uns gegenüber hat sich Mom nie in dieser Richtung über Onkel Mark geäußert. Ich meine, er war sehr charmant. Sah gut aus. Mir war nicht klar …«
    Tishs Lachen war zu einem wissenden Lächeln abgeklungen. Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen umschlossen, als wollte sie sie wärmen. »Natürlich war er das. Ein richtig bezaubernder Schlawiner. Da hat er sich ja auch mächtig angestrengt. Das war allerdings auch das Einzige, wo er sich angestrengt hat. Ich war damals noch ein unbedarftes junges Ding und ging ihm total auf den Leim. Meistens hatten wir durchaus Geld, muss ich zugeben, und phasenweise habe ich es auch genauso zum Fenster rausgeworfen wie er. Im Nachhinein wundere ich mich oft, woher es eigentlich kam und wohin es ging. Aber das wollte er mir nie sagen, und nach ein paar Jahren wollte ich es auch gar nicht mehr wissen. Deshalb fing ich wieder zu arbeiten an, um sicher zu sein, dass ich immer ein paar Shilling fürs Essen und ein Dach über dem Kopf hätte.« Sie zuckte schicksalsergeben mit den Achseln, wie Liz das Mark immer hatte tun sehen. Dann fuhr sie leiser fort: »Inzwischen

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