Der Nautilus-Plan
natürlich darüber gesprochen hätten. Er hatte nur eine Schwester, und es war höchste Zeit, sie zu besuchen, auch wenn sie im Ausland lebte und der Flug eine Menge Geld kostete. Natürlich stellte er mir auch noch ein paar andere Fragen, aber das war meine Antwort, und bei der blieb ich auch.«
»Wann war das, Tish? Genau. Es ist wichtig.«
Tish überlegte. »Ich würde sagen, vor fünf Jahren. Ja, fünf oder sechs Monate nach dem Tod Marks und deiner armen Mutter und ziemlich bald nach Robbies Tod. Das waren wirklich schwere Zeiten für die Familie.«
Fast genau zum selben Zeitpunkt, als die CIA sie zu einem zweiten Verhör bestellt hatte, bei dem es vor allem um die Aufzeichnungen ihres Vaters gegangen war. »Dann hat Onkel Mark also über die Reise mit dir gesprochen?«
»So ist es, ja. Er rief mich immer an, wenn es ihm dreckig ging und wenn er sentimentale Anwandlungen bekam. Aber an diesem Tag tauchte er plötzlich wie aus heiterem Himmel hier auf. Stocknüchtern. Sehr gepflegt, frisch rasiert, geschniegelt und gestriegelt. Redete von einem Neuanfang. Meinte, er hätte sich am Riemen gerissen und könnte in Kürze seine Schulden abbezahlen, sodass wir wieder zusammenleben könnten.« Ihre Augen wurden feucht. »Er flehte mich an. Er sagte, deine Mutter würde uns helfen, und es würde alles gut werden.«
Liz stellte ihre Tasse ab und beugte sich vor. »Mom wollte euch helfen? Wie?«
»Das habe ich ihn auch gefragt. Ich kann mich heute noch erinnern, wie seine Augen leuchteten. So aufgekratzt und voller Hoffnung. Er meinte, er dürfte noch nicht darüber sprechen, aber er und Melanie hätten eine Abmachung getroffen, die ihn reich machen würde. Es hatte irgendwas mit ›Great Waters‹ zu tun. Die Sache wäre schon so gut wie perfekt, meinte er.«
»Sonst hat er dir nichts über diese Abmachung erzählt? Welche Rolle Mom dabei spielte?«
Tish sah in ihre Tasse. »Nein, aber er ließ mir das Wenige, was er hatte, hier. Als er und Melanie starben, sah ich seine Unterlagen durch und stieß auf eine Akte. Sie enthielt nur Notizen, die keinerlei Sinn ergaben. Ich dachte immer, Great Waters müsste irgendeine einträgliche Ferienanlage sein. Aber selbst wenn Melanie ihm Geld gegeben haben sollte, kann ich mir nicht vorstellen, dass es so viel gewesen ist, dass er eine ganze Ferienanlage hätte kaufen können.«
Es gab also eine Akte. Liz ließ sich ihre Aufregung nicht anmerken. »Was hast du damit gemacht?«
»Ach, sie ist immer noch bei seinen Sachen. Irgendwie kann ich mich nicht von ihnen trennen, verstehst du? Der ganze Krempel ist in Fulham eingelagert. Bei Lawrence Storage. Möchtest du dir die Sachen mal ansehen? Das wäre nett. Vielleicht findest du ja ein paar Dinge, die du behalten möchtest. Kleine Erinnerungen, du weißt schon. Ich fände es schade, wenn Mark völlig vergessen würde. Ich gebe dir die Adresse und den Schlüssel.«
Zwei Stunden später war es im Londoner East End vollends Nacht geworden. Straßenlaternen warfen Pfützen aus Licht auf das schmutzige Pflaster, während Drogenbosse in blitzenden Jaguars und Bentleys vorbeiglitten. Mädchen, Jungen und Frauen standen in eng anliegenden Textilien an Straßenecken und hofften, ihren Lastern frönen zu können. Entsprechend wenig Beachtung wurde da der Gestalt im schwarzen Overall geschenkt, die lautlos die Tür öffnete, die zu den Wohnungen über dem Gemüseladen hinaufführte.
Einmal im Haus, zog sich der Eindringling die Skimaske über das Gesicht und stieg leise und ohne Eile die Treppe hinauf. Er klopfte an Tish Childs’ Tür. Sobald er hörte, wie der Riegel zurückgezogen wurde, drückte er mit der Schulter die Tür auf.
»Wo ist sie?«
Er schob Tish Childs in das Zimmer zurück und schloss die Tür hinter sich ab. Wegen ihrer dunkel geschminkten Augen sah sie aus wie ein in die Enge getriebener Waschbär.
»Wovon reden Sie überhaupt?«
Ihre Stimme war leise und seltsam beherrscht, nicht so verängstigt, wie der Eindringling erwartet hatte. Er nahm an, sie war im Lauf der Jahre bereits von anderen Agenten befragt worden und wartete ab, wie ernst es ihm war. Er zog die gestohlene Walther und hielt sie hoch. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Ihre Augen verwandelten sich in verblichene Achate, blieben aber hart.
»Liz Sansborough«, sagte er. »Wo ist sie hin?«
Aufmüpfigkeit huschte über das Gesicht von Tish Childs. »Liz war nicht hier«, sagte sie triumphierend.
Er lachte kalt. Natürlich sträubte sie
Weitere Kostenlose Bücher