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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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getötet. Kurz: es lagen nur Tote auf dem verschneiten Waldweg. Ich kratzte den Schnee von den Gesichtern herunter ... von einigen nur ... auch von ihren Körpern ... entdeckte schließlich Günter ... Günter ... ohne Schädeldecke und ohne Schwanz.«
    »Wie sah Günter aus ... ohne Schwanz?« fragte Frau Holle.
    »So wie eine menstruierende Frau«, sagte Max Schulz ... »mit einem roten Loch zwischen den nackten Beinen.«
    »Nackt?« fragte Frau Holle.
    »Ja«, sagte Max Schulz. »Sie waren alle nackt.
    Wissen Sie, wie ein polnischer Wald im Januar aussieht?« fragte Max Schulz ... »frühmorgens, kurz nach Sonnenaufgang?
    So wie auf dem Bild im Wohnzimmer von Finkelsteins«, sagte Max Schulz. »Die hatten nämlich ein großes Bild im Wohnzimmer ... eine Winterlandschaft ... eine fremde Landschaft mit einer kalten roten Sonne, finsteren Bäumen, von deren knorrigen Zweigen die Eiszapfen wie spitze Drachenzähne herabhingen ... hängende Zähne, die die Erde anfletschten, als wollten sie die Erde aufspießen ... und all das und noch mehr war eingedeckt mit einem weißen Leichentuch und mit seltsamen grauen Schleiern verwoben. Nur die nackten Toten auf dem Waldweg, die fehlten auf dem Bild der Finkelsteins.«
    »Wer waren die Finkelsteins?« fragte Frau Holle.
    »Die Finkelsteins waren die Finkelsteins«, sagte Max Schulz. »Wer soll das sonst schon gewesen sein?«
    »Ich stand also da ... in dem verdammten polnischen Wald, stand auf dem Waldweg, stand neben den Toten, dachte: Mensch, Max ... wie kommst du jetzt nach Deutschland? Am liebsten hätte ich losgeheult, dachte aber daran, daß mir die Tränen noch an den Wimpern zu Eis würden ... denn in Polen ist es kalt im Januar, so kalt, daß einem die Spucke einfriert, wenn man das Maul zu weit aufreißt.«
    »Dann hält man lieber die Klappe«, sagte Frau Holle.
    »Es blieb mir auch nichts anderes übrig«, sagte Max Schulz. - »Ich stand also auf dem Waldweg, starrte auf die Toten, stand dort frierend, unausgeschlafen, zähneklappernd, hungrig ...
    Die Partisanen hatten natürlich alles mitgenommen ... auch die Lebensmittel. Ich wußte, daß ich ohne Nahrung und richtigen Unterschlupf nicht überleben würde. Irgendwo mußte ich unterkommen, irgendwo, wo es Streichhölzer gab - denn ich hatte die letzten ver- braucht -, wo ich Feuer machen konnte und wo es auchwas zu essen gab. Auch mußte ich mir Zivilkleider beschaffen, meine Uniform wegschmeißen und - so sagte ich mir - versuchen, mich hinter den russischen Linien nach dem Westen durchzuschlagen ... bis nach Deutschland . Keiner durfte wissen, wer ich war. Mit uns machten die Brüder kurzen Prozeß. Mit uns ... von der SS.
    Ja, und das war so:
    Bevor ich weiterging, suchte ich im Gebüsch nach den Goldzähnen. Die waren noch da. Der Karton war eingeschneit. Ich kratzte Schnee und Eis ab, lud ihn auf den Rücken, ging dann den Waldweg entlang, bog rechts ab und tauchte wieder zwischen den hohen vereisten Bäumen unter, weil das sicherer war. Nachdem ich eine Weile so vor mich hin getrottet war, blieb ich stehen, lud den Karton mit den Goldzähnen ab und vergrub ihn mit den Händen im Schnee. Die Bäume rings um die Stelle markierte ich mit meinem Taschenmesser.
    Ich wußte, daß der Lagerkommandant Hans Müller genauso wie ich im Wald herumirrte, und war irgendwie froh, daß ich ihn aus den Augen verloren hatte. Hans Müller würde bestimmt zu der Stelle des gestrigen Überfalls zurückkehren, um nach den Goldzähnen zu suchen. Ich sagte mir: Es ist besser, daß du die Zähne hast als er. Wenn die Zeit reif ist, wirst du die Zähne wieder ausgraben - und zwar ehe es taut ... vielleicht in ein paar Wochen oder so - und dann wirst du weitermarschieren ... mit den Zähnen ... bis nach Deutschland. Und dort wirst du die Zähne verkaufen und dann ein neues Leben anfangen.
    Der Wald wimmelte von Partisanen. Und ich hatte Angst. Sie durften mich nicht erwischen. Ich dachte auch an Günter. Und an das rote Loch zwischen seinen nackten Beinen. Die Angst vertrieb das Hungergefühl.
    Ich stapfte durch den tiefen Schnee, und mir wurde allmählich warm. Nach einer Weile vernahm ich Motorengeräusch und das Klirren schwerer Panzerketten, dachte: das sind die Panzerkolonnen des Iwan ... und dort ist eine Straße ... und jetzt mußt du besonders aufpassen! Mit dem Iwan ist nicht zu spaßen! Der ... und die Partisanen! Das ist kein Spaß. Und die Panzerkolonnen, die rollen durch Polen. Die rollen nach Deutschland.
    Ich bog

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