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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Speisesaal in einer Gemeinschaftssiedlung oder in einem Kollektivdorf oder in einem Kibbuz ... der viele Zwecke erfüllt.
    Ich erinnere mich noch ganz genau ... an die Sitzwanne in Frau Holles Keller. Die hatte sie von Willi Holzham mers Mutter geborgt, damit ich, Max Schulz, der Massenmörder, nackt darin herumplantsche. Sitzwannen für Erwachsene gibt es hier nicht! Dafür ... einen Duschraum! Einer mit vielen Duschen. Und aus den Duschen schießt heißes Wasser ... kein Gas ... wenn man den Hahn aufdreht, natürlich.
    Sogar eine Bibliothek gibt es hier! Eine mit vielen lehr reichen Büchern! Diese Juden sind seltsame Bauern. Bauern, die Bücher lesen, diskutieren, philosophische Gespräche führen. Ich glaube, jeder von ihnen war früher mal was anderes.
    Ob die viel Geld verdienen, hier in Pardess Gideon? Nein. Die verdienen überhaupt nichts. Jeder leistet, was er leisten kann und kriegt dafür, was er zum Leben braucht. So ist das. Der Einzelne verdient kein Geld. Nur die Gemeinschaft. Und die Gemeinschaft baut neue Häuser, erwirbt neuen Boden, um Platz zu schaffen ... für die, die da kommen.
    Was sagen Sie? Sowas gibt es nicht! Kein Mensch ist so blöd und arbeitet umsonst! Und noch dazu die Juden! Ob ich mich nicht geirrt hätte? Das wären gar keine Juden? ... Doch. Das sind Juden.
    Soll ich Ihnen schildern, wie man in einer Gemein schaftssiedlung lebt? Den Tagesablauf? Von Anfang an? Mit dem ersten Gongschlag im Chadar Ochel? Und dem letzten? Wie man gemeinsam speist? Und gemein sam arbeitet? Wie die Zimmer hier aussehen in den klei nen, hellen Häusern mit den flachen Dächern? Und wie das in den Zelten ist? Und warum hier noch Zelte stehen, da es doch Häuser gibt? Ob noch Platzmangel herrscht? Wollen Sie wissen, ob die Betten groß sind oder klein? Bequem oder unbequem? Ob wir hier mit einem Kissen schlafen, auf harten oder weichen Matrat zen? Wie die Erde riecht? Und der Himmel? Und die Sonne? Und ob Himmel und Sonne riechen? Und ob das hier anders ist? Wollen Sie wissen, was den Tag hier von der Nacht unterscheidet? Ob es nur Licht und Finsternis ist? Wollen Sie wissen, ob wir Fliegenfenster haben oder Moskitonetze? Und wie der Mond aussieht, wenn man nachts durchs Fenster schaut oder durch den Schlitz im Zelt? Und wie ein Schakal heult? Oder vieleSchakale? Und ob die Wüste hinter den Plantagen flüstert in der Nacht? Oder ob sie schweigt? Wollen Sie das alles wissen?
    Wenn ich Ihnen ausführlich schildern müßte, was ein Kibbuz ist und wie man in einem Kibbuz lebt, dann könnte ich ja ebensogut zur Feder greifen und ein Sach buch über Palästina schreiben oder über den Kibbuz. Und das würde mich nur unnötig ablenken, ich meine: von meinem Bericht ... dem eigentlichen Bericht des Friseurs und Pioniers Max Schulz alias Itzig Finkelstein.
    Mir geht es gar nicht gut. Ich würde sagen: als ausgelernter Herrenfriseur, der im Kuhstall arbeiten muß, geht es mir schlecht.
    Also: Ich bin am 14. Juni hier angelangt. Im Kibbuz Pardess Gideon. War natürlich erholungsbedürftig. Können Sie sich vorstellen, was? Nach der anstrengenden Fahrt auf dem Geisterschiff. Na also! Aber die haben mich gleich in den Kuhstall gesteckt!
  4.   
    Eine Woche hab ich dort gearbeitet. Dann hatte ich die Nase voll. Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein oder Max Schulz. Das ist nichts für einen ordentlichen Friseur. Außerdem bist du erholungsbedürftig. Geh ein bißchen auf Reisen. Das kann nicht schaden. Und ein paar schwarze Dollars hast du ja noch.«
    Die Koffer ließ ich im Kibbuz zurück. Vorläufig. Ich fuhr ohne Koffer. Aber mit meinen neuen Papieren.
    Nathan Herzberg, mein Rivale, der Schlosser, der ab und zu den Friseur spielt, brachte mich im Mauleselwagen bis zur nächsten Autobusstation. Ja, der ist auch ein Kutscher!
    »Reisefieber, Chawer Itzig?«
    »Ja, Chawer Nathan.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Chawer Nathan. »Guck dir dein Land an.«
    »Ja.«
    »Du hast es 2000 Jahre lang nicht gesehen.«
    Ich sagte: »Das stimmt. Ich bin neugierig.«
    Die nächste Autobusstation war 5 Kilometer weit entfernt. Wir fuhren gemächlich. Wir fuhren durch die Plantagen und dann ein Stück durch die Wüste. Wir unterhielten uns.
    »Das ist immer so«, sagte Chawer Nathan. »Neuankömmlinge arbeiten ein paar Tage probeweise. Wir geben ihnen Kleider und neue Papiere. Und dann geht

jeder seiner Wege. Manche ziehen es vor, in der Stadt zu leben, manche gehen in einen anderen Kibbuz, manche bleiben auch.«
    »Ich

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