Der Nazi & der Friseur
Wasser- sprüher! Kreisender Wasserstrahl unter der gelben Sonne! Da hab ich zu mir gesagt: »Max Schulz! Ein Wunder! Die Juden haben nicht nur uns ... die haben auch die Wüste besiegt!«
Wir fuhren im selben Tempo weiter, fuhren durch die verwandelte Wüste, freuten uns an den bunten Feldern, staunten uns die Augen aus dem Kopf. Hanna Lewisohn, die weiter vorne im Lastauto stand, drängte sich zu mir durch, legte den Arm um meine Schulter und sagte: »Itzig Finkelstein. Deine Froschaugen sind größer und runder geworden.«
Ich versuchte zu lachen und sagte: »Weil sich die Wüste verwandelt hat!«
»Guck mal«, sagte Hanna.
»Ja, ich gucke, Hanna.«
»Jüdische Bauern! Da! Auf den Feldern. Sie winken!«
Hanna winkte zurück. Und ich auch. Und die anderen auch. Wir winkten!
Wir kamen auf eine Landstraße. Überall Haganahpo-sten, die uns durch Zeichen zu verstehen gaben, daß die Luft rein war. Keine Spur von englischen Straßensper ren. Wir fuhren eine Zeit auf der Straße Tel Aviv-Haifa entlang. Nach der Straßenkreuzung Haifa-Natania bogen wir rechts ab, fuhren durch ein Eukalyptuswäldchen, stießen auf einen Feldweg, sahen wieder Bananen- und Orangenhaine, fuhren hindurch, das Lastauto hüpfte vor Vergnügen, hüpfte langsamer, dann wieder schneller, blieb plötzlich stehen. Wir waren angelangt. Im Kibbuz Pardess Gideon.
Gleich nach seiner Ankunft im Kibbuz Pardess Gideon wurde Max Schulz oder Itzig Finkelstein neu eingeklei det. Er erhielt eine Khakiuniform, ein Paar derbe, braune Schuhe, einen runden, kleinen Khakihut, der seinen Kopf, der ein wichtiger Kopf war, vor der heißen Sonne schützen sollte - eine Vorsichtsmaßregel gegen Dachschaden - außerdem erhielt Max Schulz oder Itzig Fin kelstein frische Wäsche, Zigaretten, eine Bettstelle und selbstverständlich neue Papiere.
Nein. Angst hatte ich nicht. Weder vor den Juden noch vor den Engländern. Für die Juden war ich ein Jude, einer, der heimgekehrt war. Für die Engländer ein Mann mit legalen Papieren, unantastbar, ein Bürger des britischen Mandatsgebiets Palästina. Mein Name: Itzig Finkelstein. Beruf: Friseur.
3.
Bin seit einigen Tagen im Kibbuz Pardess Gideon. Hab schon ein paar Worte hebräisch gelernt. Unser Gruß: ›Schalom!‹ Das heißt: ›Friede‹. Andere Worte: ›Kibbuz‹ ... eine ›Gemeinschaftssiedlung‹ oder ein ›Kollektiv- dorf‹. Die Mehrzahl ... das sind ›Kibbuzim‹. ›Chawer ‹, das heißt ›Kamerad‹ oder ›Freund‹, ein Wort, das ich schon auf dem Schiff gelernt hatte. Die Mehrzahl ... ›Chawerim‹. Merken Sie sich also: ›Schalom! Kibbuz ... Kibbuzim! Chawer ... Chawerim‹! - Die Mitglieder eines Kibbuz nennt man Kibbuzniks. Aber jeder Kibbuznik ist zugleich ein Chawer. Ist das zu kompliziert für Sie?
Ein Kibbuz ist eine Gemeinschaftssiedlung ohne Friseur salon. Wenigstens ist das so in Pardess Gideon. Keine Spur von einem Friseursalon. Nirgends. Hab mich gleich gefragt: »Wo lassen sich die Siedler eigentlich die Haare schneiden? Wo? Und wann? Und von wem?«
Ich hab das schnell rausgekriegt: Ab und zu! Wenn das gerade mal nötig ist! Und zwar ... hinter dem Duschraum ... im Freien ... bei schönem Wetter ... im Sonnenschein ... und von Nathan Herzberg, dem Schlosser, ein geschickter Mann, der alles mögliche kann ... auch das Haareschneiden.
Ein Kibbuz ist nichts für einen ordentlichen Friseur!
Kibbuz Pardess Gideon: ein kleines Paradies, eine Oase in der Wüste.
Hanna gefällt es hier. Sie ist glücklich. Hanna arbeitet im Hühnerstall, ich im Kuhstall. Das ist nicht dasselbe. Wir sind nur in unserer Freizeit zusammen. Was wir da machen? In unserer Freizeit? Alles mögliche. Meistens gehen wir spazieren. Ja, bloß das.
Wenn wir spazieren gehen, halten Hanna und ich Händchen. Hanna möchte mit mir davonfliegen, aber nicht weg von hier, nein, das nicht, nur so ein bißchen herumfliegen, aber ich lasse sie nicht. Ich halte sie fest.
Wir schlendern durch Orangen- und Bananenhaine, stampfen mit unseren derben Schuhen durch Kartoffelacker. Es gibt hier auch Wiesen, richtige Wiesen. Nur keinen Friseursalon. Die Häuser sind klein. Aber das größte unter den kleinen ist der gemeinschaftliche Spei sesaal. Heißt auf hebräisch: ›Chadar Ochel‹ Im Chadar Ochel finden auch Versammlungen statt und lustige gesellschaftliche Veranstaltungen, zum Beispiel: der Onek Schabbat, eine Art Sabbatfeier mit Liedersingen und Volkstänzen. Müssen Sie sich merken: Chadar Ochel: der gemeinschaftliche
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