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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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würde gern bei euch bleiben, Chawer Nathan«, sagte ich. »Aber ich bin ein Friseur. Und ich möchte gern in meinem Beruf arbeiten.«
    »Na ja«, sagte Chawer Nathan. »Du kannst auch bei uns Haare schneiden. Du kannst mir ja helfen. Aber einen vollbeschäftigten Friseur brauchen wir hier nicht.«
    »Der Friseurberuf ist aber keine Nebenbeschäftigung, Chawer Nathan. Sowas kann ich nicht akzeptieren.«
    »Na ja«, sagte Chawer Nathan. »Wenn du glaubst... Aber ich sage dir: Arbeit ist Arbeit. Wenn keine Haare zu schneiden sind, dann arbeitest du eben im Kuhstall oder auf den Feldern oder im Bananenhain oder im Orangenhain oder in der Küche oder sonstwo. Bei uns gibt's immer Arbeit.«
    So war das. Wir unterhielten uns. Wir rauchten. Wir schwitzten. Es war heiß. Der Maulesel stank. Zwei Männer in einem holprigen Mauleselwagen, ein Wagen mit Gummireifen wegen des weichen Sandes, montierte Autoreifen. Zwei Männer in Khakiuniformen auf einem Brettersitz ... der eine, vierzig Jahre alt, und der hieß Itzig Finkelstein ... der andere, weit über sechzig, ein Mann mit wetterzerfressenem Gesicht, Lederhaut, tiefgebräunt, weißhaarig, mit einem Körper wie ein ausgedorrter Ast.
    »Als ich vor 45 Jahren hier ankam«, sagte Nathan Herzberg, »da gab es hier nur Sand und Steine und Sumpf. Wir haben die Steine fortgetragen. Und den Sand. Und wir haben den Sumpf trockengelegt. Das war eine Sauarbeit. Und die verdammten Moskitos. Das war kein Spaß."
    Ich sagte: »Ja. Das kann ich mir gut vorstellen.«
    »Wir waren 30 Männer und 9 Frauen. So fingen wir an. Dann kamen mehr. Heute sind wir fast 400. Immer noch ein kleiner Kibbuz. Aber immerhin.«
    »Ja, Chawer Nathan«, sagte ich.
    »Die ersten kamen aus Rußland«, sagte Chawer Nathan.
    »Heute sind bei uns Juden aus aller Herren Länder. Auch deutsche Juden wie du.«
    Ich sagte: »Ja.«
    »Bist du wirklich ein deutscher Jude, Chawer Itzig?«
    Ich sagte: »Meine Eltern stammen aus Galizien.«
    »Dann bist du ein Galizianer«, sagte Nathan Herzberg.
    »Das hab ich mir eigentlich gedacht.«
    So war das. Wir unterhielten uns. So wie man sich unterhält ... auf einem Mauleselwagen, in der Sonne, kurz vor Mittag.
    »Hast du eigentlich Geld, um dir 'ne Reise zu leisten?« fragte Chawer Nathan.
    »Schwarze Dollars«, sagte ich.
    »Schwarze Dollars«, sagte Chawer Nathan kopfschüttelnd ... »also so einer bist du! Hier mußt du dich ändern, Chawer Itzig!«
    Nein. Schwierigkeiten hab ich nicht gehabt. Der Chauffeur der ›Egged-Autobusgesellschaft, Linie Haifa-Tel Aviv‹ wollte keine schwarzen Dollars wechseln, nahm mich aber umsonst mit, als ich ihm zuflüsterte, daß ich erst unlängst gelandet bin. - Und die Engländer? Die haben mir auch keine Schwierigkeiten gemacht. Wir stießen ab und zu auf Straßensperren. Die verdammten Tommys! Halten jeden jüdischen Bus an. Aber Schwie rigkeiten habe ich keine gehabt. Nein. Hab ich nicht gehabt. Das nicht. Oder: Die nicht. Meine Papierewaren in Ordnung. Meine Kleidung unauffällig. Ich war nur Itzig Finkelstein, einer mit legalen Papieren, einer in einer Khakihose, in einem Khakihemd, einem Khakihut, einer mit derben Schuhen, einer aus dem Kibbuz.
5.
    Als wir nach Rußland marschierten, da schien das Land endlose Weiten zu haben; die Erde spannte sich unübersichtlich unter dem schweigenden Himmel, fraß uns die Sohlen von den Stiefeln und lachte unsere müden Füße aus. Hier dagegen ist alles eng und begrenzt.
    Ich bin hier ein paar Tage herumgereist, kreuz und quer. Ich war neugierig. Ich glaube, jeder ist neugierig, der hier zum ersten Male herkommt, besonders ein Jude und ganz besonders ein alter Nazi wie ich. - Und wenn einer beides ist, so wie ich ... dann genügen zwei Augen nicht mehr.
    Meine Froschaugen haben allerhand fotografiert, wei tergeleitet zur Dachschadenecke, registriert, festgehal ten, mit dem Gedächtnis des Massenmörders Max Schulz oder dem Gedächtnis des Juden Itzig Finkelstein.
    Die arabischen Dörfer und Städte starren vor Schmutz, und das Elend, das ich gesehen hab, hat mich, den Mas senmörder, fast mitleidig gestimmt.
    Ich war in einem namenlosen arabischen Dorf. Und dort sah ich einen kleinen Jungen am Straßenrand stehen. In der heißen Sonne! Mit halbblinden, eitrigen Augen! Und grinsenden schwarzen Fliegen, die auf den Augen saßen! Und summten!
    Ich mußte vor Schreck blinzeln. Und als ich wieder hinsah ... da sah ich andere kleine Jungen und Mäd chen. Und auch Erwachsene. Manche noch jung. Man che

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