Der Nebel weicht
Verschließt alle Gatter und Tore mit Vorhängeschlössern und kontrolliert die Umfriedungen. Ich werde dem Alten von der Sache berichten.“
„Was mich angeht, so werde ich ab sofort eine Schußwaffe tragen“, sagte Wilmer.
„Ja, das ist vielleicht gar keine schlechte Idee“, meinte Bergen.
Archie Brock hatte die Aufgabe, einen Abschnitt, eine ungefähr sechs Kilometer lange waldumschließende Linie, zu überprüfen. Er rief Joe zu sich, der erfreut herumtollte, und machte sich auf den Weg, froh, zur Abwechslung einmal allein zu sein.
Wie still der Wald war! Sonnenstrahlen fielen hier und da durch grüne, unbewegte Blätter und malten Kringel auf die warmen, braunen Schatten. Der Himmel war tiefblau, kein Wölkchen, kein Luftzug. Gelangweilt stieß er hin und wieder mit dem Fuß gegen einen Baumstumpf oder Stein. Er streifte einen Zweig, der mit leisem Kratzen über seine Kleidung fuhr. Ansonsten war die Gegend völlig ruhig. Die Vögel schienen plötzlich verstummt zu sein, kein Eichkätzchen ließ sich sehen, und selbst die Schafe hatten sich ins Waldinnere verzogen. Beunruhigt dachte er, daß die ganze grüne Welt irgendwie auf etwas zu warten schien. Die Ruhe vor dem Sturm vielleicht?
Er konnte sich vorstellen, wie die Leute sich ängstigen würden, wenn die Tiere plötzlich schlauer würden. Wenn sie wirklich schlauer wären – würden sie sich dann auch weiterhin von den Menschen einsperren, zur Arbeit zwingen, kastrieren, töten, häuten und essen lassen?
Zum Beispiel Tom und Jerry, die jetzt … Aber sie waren doch sanft und fügsam!
Und – Moment – wurden die Menschen denn nicht auch schlauer? Er hatte den Eindruck, als hätten sie in den letzten Tagen viel mehr geredet, und nicht nur über das Wetter oder die Nachbarn, vielmehr über solche Sachen wie den Ausgang der nächsten Wahl oder warum ein Hinterradantrieb in einem Wagen vorteilhafter war. Sicher, darüber hatte man sich immer mal wieder unterhalten, aber nicht so häufig und vor allen Dingen nicht so ausführlich. Sogar Mrs. Bergen. Er hatte dabei beobachtet, wie sie ein Magazin las, und sie saß doch sonst in ihrer Freizeit nur vor dem Fernsehapparat.
Ich werde auch schlauer!
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Lange Zeit blieb er völlig reglos stehen, so daß Joe herankam und fragend an seiner Hand schnüffelte.
Ich werde klüger.
Klar – so mußte es sein. Die Art und Weise, in der er in letzter Zeit nachgedacht und gegrübelt hatte, und daß er sich an alles mögliche erinnerte und dann auch gesagt hatte, wo er doch früher nie den Mund aufbekam – was konnte es sonst sein? Die ganze Welt wurde klüger.
Ich kann lesen, sagte er zu sich selbst. Nicht besonders gut, aber sie haben mir das Al-pha-bet beigebracht, und ich kann ein Comic-Heft lesen. Vielleicht kann ich jetzt ein richtiges Buch lesen?
Die Bücher hatten die Antworten auf all das, worüber er mit einem Mal nachgrübelte, die Sonne und den Mond und Dinge wie Sterne und warum es Sommer und Winter gab, warum sie Kriege führten und Präsidenten hatten und wer auf der anderen Seite der Erde lebte und …
Er schüttelte den Kopf, unfähig, das Durcheinander zu begreifen, das in ihm aufstieg, sich ausbreitete und alles einzuschließen schien. Er hatte sich doch zuvor nie Gedanken gemacht. Die Dinge passierten eben und wurden wieder vergessen. Aber … er blickte staunend auf seine Hände. Wer bin ich? Was tue ich hier?
Sein Inneres war in Aufruhr. Er lehnte den Kopf gegen die kühle Rinde eines Baumstammes und lauschte dem Blut, das in seinen Ohren rauschte.
Lieber Gott, bitte, laß es wahr sein. Bitte, laß mich werden wie die anderen Leute.
Nach einer Weile riß er sich zusammen und überprüfte weiter den Zaun, wie man es ihm gesagt hatte.
Am Abend, nachdem seine Arbeit
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