Der Nebelkönig (German Edition)
Uhl!«
Er lehnte sich zurück und rieb
sich über die Augen. »Kind, Kind«, stöhnte er.
»Die Katzenkönigin«, wechselte
Sallie ein wenig verschnupft das Thema.
Uhl richtete sich auf. »Ja,
die Katzenkönigin. Du musst wissen, dass viele Bewohner der Welt zu Clans
gehören. Es gibt zum Beispiel die sehr ehrenwerten Eulen, die Bären, die Raben,
die Hunde, die Wölfe, die Ratten«, er verzog das Gesicht, »übles Pack, diese Ratten!«
Einen Augenblick lang schwieg er und schien ganz weit fort zu sein, ehe er
fortfuhr: »Und dann natürlich auch den mächtigen Clan der Katzen. Die
Katzenkönigin ist eine Tochter dieser Familie, und weil sie diejenige war, die
innerhalb des Clans die größte Macht besaß, wurde sie zum Oberhaupt der Katzen
ernannt – zur Katzenkönigin, wie die Menschen sie voller Ehrfurcht nannten.«
»Also ist sie so etwas
Ähnliches wie der Nebelkönig?«
»Aber natürlich nicht!«,
fauchte Uhl. »Was redest du da? Der Nebelkönig steht außerhalb aller Clans,
keine Familie würde ihn bei sich dulden. Er hat sich selbst zum Herrscher über
die Welt aufgeschwungen, und seit er fort ist, gibt es keine Könige mehr. Das
ist auch gut so, du darfst es mir glauben!«
Sallie legte das Kinn auf ihre
Fäuste. »Aber die Katzenkönigin ist doch auch ...«, begann sie.
»Papperlapapp«, fuhr ihr Uhl
über den Mund. »Sie wird so genannt, das ist alles! Sie maßt sich keine Macht
über die Menschen und anderen Geschöpfe an!«
Sallie war erstaunt, ihn so
aufgebracht zu sehen. Sie machte ein beruhigendes Geräusch und sagte, um ihn
abzulenken: »Die Leute in der Burg tun mir leid.« Auf Uhls fragenden Blick hin
erläuterte sie: »Es muss doch schlimm sein, dort zu leben und zu wissen, dass
man nie wieder hinauskann.«
Uhl plusterte sich ein wenig
auf. »Es sind Verbrecher, Kind«, sagte er streng. »Die Gefolgsleute des Bösen
Königs. Sie haben ihr Schicksal ganz und gar verdient!«
Sallie biss sich unzufrieden
auf die Lippe. »Aber«, wandte sie ein, »aber – eine Ewigkeit! Das ist, das ist
... so schrecklich lang, Uhl!«
Der Bibliothekar starrte sie
mit seinen großen, runden Augen an. »Du solltest dein Mitleid nicht auf
unwürdige Objekte verschwenden«, wies er sie steif zurecht. »Die Menschen und
Geschöpfe der Welt haben unsäglich unter ihnen gelitten. Die Anhänger des Nebelkönigs
darben nicht in einem finsteren Kerker, sondern sie leben durchaus komfortabel
und bequem – nur eben abgeschlossen. Das ist keine strenge Strafe, wenn du mich
fragst. Ich hätte anders entschieden! Kopf ab und gut!« Sein Mund klappte
hörbar zu.
Sallie seufzte. »Die
Katzenkönigin hat recht getan«, murmelte sie. »Niemand darf jemand anderem das
Leben nehmen, finde ich. Man hat doch nur eins davon.«
»Was verstehst denn du!«,
fauchte Uhl. Er erhob sich und rauschte davon in die Dunkelheit zwischen den
Bücherreihen.
Sallie wusste, dass er so bald
nicht mehr zurückkehren würde. Sie stieß die Luft durch die Nase und versenkte
sich wieder in ihr Buch. Sie las, wie die Katzenkönigin, zu Tode erschöpft
durch ihr Werk, sich zurückzog ...
Sie schloss sich ein, wie sie
den Nebelkönig eingeschlossen hatte, in eine zeit- und raumlose Enklave, in
deren Schoß sie gesunden und ihre Kräfte erneuern konnte. Die Bewohner der
zerstörten Welt begannen damit, die Schäden zu beheben, die der Kampf der beiden
Magier angerichtet hatte. Nach und nach erholte sich das geschundene Land von
der Schreckensherrschaft des Bösen Königs.
Lange Zeit herrschte Frieden.
Doch dann geschah etwas, das
den Frieden zerstörte ...
Sallie schrak auf. Dort war
jemand in der Bibliothek! Nicht Uhl, das konnte sie hören. Uhl bewegte sich
immer unhörbar leicht und leise, aber dort scharrten Stuhlbeine laut über den
Steinboden und etwas Schweres wurde auf einen Tisch gelegt.
Hastig beugte Sallie sich vor
und löschte das Licht. Es wurde stockfinster.
Dann gewöhnten sich ihre Augen
an das Dunkel. Die Umrisse der aufragenden Buchgebirge, Foliantentürme und
Regalmassive schälten sich aus der Finsternis, und sie erahnte einen
Lichtschimmer in der Ferne. Sallie schob sich leise aus ihrem Sessel und
tastete sich langsam, Schritt für Schritt mit ausgestreckten Händen, voran. Sie
stieß sich hart die Zehen an einem Schreibpult und hüpfte stumm ein paarmal um
ihre Achse, bis der Schmerz verging, dann schob sie sich weiter durch die
papierknisternde Dunkelheit der Gänge.
Der Lichtschein wurde stärker,
und sie
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