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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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peinlich. Laß uns nicht ins Restaurant gehen? Was würden die Leute von mir denken?«
      Diese Einstellung gefiel ihr. Es bewies, daß er empfindsam war. Doch seit diesen schrecklichen Appetithappen hatte sie nichts mehr gegessen, und jetzt, da die Angst verflogen war, fühlte sie sich wie ausgehungert.
      »Ich verstehe.« Sie ergriff seine Hand. »Wir können ja hier essen. In der Nähe sind ein paar Restaurants mit Außer-Haus-Verkauf. Und ein Falafel-Restaurant.«
      »Aber nur, wenn du mich alles zurückzahlen läßt.«
      Jetzt war es an ihr zu sagen: »Dummerchen.« Sie zog einen Mantel mit Schottenmuster an, holte eine Einkaufstasche und kramte Portemonnaie und Schlüssel aus ihrer Handtasche.
      »Hey ...« Er winkte sie mit dem kleinen Finger zu sich heran und küßte sie leicht auf den Mund. »Bleib nicht zu lange.«
      Sonia fühlte sich wie im Traum und berührte gelegentlich sanft ihre Lippen, als sie sich in die Reihe der Wartenden stellte. Beladen mit Artischockenpaste, Bifteki, Pita-Brot, Salat, Oliven, einer großen Flasche Frascati und Lokum, das mit Puderzucker bestäubt war und nach Rosen roch, kam sie nach Hause zurück.
      Sie nahmen vor dem gasgespeisten Kamin Platz, er auf dem Sofa, sie zu seinen Füßen, und fütterten sich gegenseitig mit Oliven und Lokum-stückchen. Die Fleischbällchen waren heiß und stark gewürzt, und das Brot dippten sie in die Artischockenpaste und das Olivenöl. Fenn trank nur wenig Wein, Sonia eine ganze Menge.
      Das mußte der Grund dafür gewesen sein, dachte sie im Nachhinein, daß sie ihm solche Freiheiten gewährt hatte, und das an ihrem ersten gemeinsamen Abend. Bei dem Gedanken an die Form, die diese Freiheiten angenommen hatten, überlief Sonia ein Prickeln. Man mußte ihm allerdings zugestehen, daß er es nicht soweit hatte kommen lassen wollen. Er war schrecklich besorgt gewesen und hatte sie geknickt gefragt, was sie jetzt von ihm denken mußte. Nach ihrem Dafürhalten war es bei einer solchen Angelegenheit ohnehin Sache der Frau, die Bremse anzuziehen, und wenn sie nicht so viel getrunken hätte, wäre sie dazu durchaus in der Lage gewesen.
      Er war nicht so lange geblieben, wie sie gehofft hatte (sie hatte sich schon darauf gefreut, ihm von ihrer unglücklichen Kindheit erzählen zu können), war wahrscheinlich aus reiner Verlegenheit so früh gegangen. Aber sie würde ihn bald wiedersehen. Das hatte er ihr versprochen.
      Sie merkte, daß Rosa sie erwartungsvoll ansah. »Wie bitte?«
      »Ich habe Sie gefragt, was er beruflich macht.«
      »Er ist Schauspieler. Ich meine - eigentlich. Im Moment hat er kein Engagement und macht für eine Rockgruppe die Öffentlichkeitsarbeit.«
      »Na ja.« Rosa stand auf und begann, Briefe und Aktenordner in ihre geräumige Tasche zu stecken. »An Ihrer Stelle würde ich mich weiterhin an ihn halten. Wenn er Joy wirklich so großzügig verschenkt, haben Sie einen guten Fang gemacht.«
      Das hätte ich mir nie träumen lassen, dachte sie, als sie in der U-Bahn nach Hause fuhr. Wie eigenartig, daß Sonia ihn nicht früher erwähnt hatte. Rosa hielt sie durchaus nicht für einen Menschen, der einen gutaussehenden jungen Mann im Hintergrund verschweigen würde. Es war schon ernüchternd, wie sehr man sich täuschen konnte. Offensichtlich hatte er einen guten Einfluß auf Sonia. Heute morgen war nicht eine Spur von dem üblichen süßlichen Vogelgezwitscher zu hören gewesen. Und zweifellos begann das Eis zwischen ihnen zu schmelzen. Sie hatte vergessen, Sonia danach zu fragen, ob ihr die Saturday Show gefallen hatte. Sie war froh, daß Toby sie akzeptiert hatte. Und sie hatte sich geschworen, über Sonia in Zukunft nichts Unfreundliches mehr zu sagen. Rosa spürte, wie sich die letzten Überreste ihres Schuldgefühls in Luft auflösten.
      In Camden Town wagte sie sich in den eisigen, peitschenden Wind hinaus und wich den nassen Kohlblättern, den von zerbrochenen Kisten stammenden Holzstückchen und den verfaulten Früchten aus, die sich auf der Inverness Street auf dem Bürgersteig angesammelt hatten. Mit einem verfrorenen Gesicht, das sich wie ein Eisblock anfühlte, betrat sie schließlich die Diele ihres Hauses. Sogleich spürte sie die Wärme. Sie ging über den dicken Teppich. Die Standuhr ließ aus dem Eßzimmer ein gleichmäßiges Ticken vernehmen. Heute waren Diele und Treppe das Objekt von Mrs. Jollits Schnelldurchgang gewesen. Der weiße Lack glänzte, und es roch leicht nach

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