Der Neid eines Fremden
schichtweise ausgelegten Teppichen lagen obendrein noch Brücken und Läufer; silbern ziselierte Weihrauchschwenker hingen, zu Lampenschirmen umfunktioniert, von der Decke. Bücher gab es keine. Ein riesiger Fernsehapparat beherrschte den Raum, der ohnehin schon zum Bersten mit Brokatmöbeln und Nippes vollgestopft war. Das Telefon stand auf einer Cocktailbar aus Chrom und Gold, gleich neben einem glänzenden kleinen Zug, dessen offene Waggons mit Erdnüssen, Oliven, After Eights und sonstigen Knuspereien gefüllt waren. Fenn schloß die Tür.
Rosa war mit ihrer Arbeit an dem Punkt angelangt, an dem Michael Kelly in London einen Weinladen eröffnen wollte. Sein Freund, Richard Brinsley Sheridan, hatte vorgeschlagen, seinem Namenszug auf dem Schaufenster die Bezeichnung »Weinkomponist und Musikimporteur« folgen zu lassen. Das gefiel Rosa. Sie dachte, daß der Tenor ein sehr angenehmer Zeitgenosse gewesen sein mußte, wenn man einen Menschen tatsächlich nach der Zahl und den Eigenschaften seiner Freunde beurteilen konnte. Je mehr sie mit ihrer Arbeit vorankam, desto leichter fiel es ihr, sich in seine Epoche zu versetzen.
Ein guter Biograph mußte die Vorstellungskraft eines Romanciers und die Disziplin eines Historikers haben, und Rosa war sich ständig der Notwendigkeit bewußt, einen Balanceakt zwischen beiden zu vollführen. Ließe sie ihrer Fantasie freien Lauf, würde sie nicht ernstgenommen werden; wäre ihre Sprache zu trocken, würde kein Mensch ihr Buch lesen wollen.
Die schnatternde Menschenmenge, der Pfeifenrauch, der Geruch nach frischem Gebäck und heißer Schokolade und das Rascheln der Zeitungen, mit anderen Worten, die ganze Szene, war ihr so gegenwärtig, daß ihr das Klingeln des Telefons erst nach einigen Sekunden bewußt wurde. Zunächst ignorierte sie es und versuchte, sich weiter auf die Kaffeehausszene zu konzentrieren, denn sie hoffte, daß der Lärm des zwanzigsten Jahrhunderts sie nicht mehr lange belästigen würde. Aber es hörte nicht auf zu klingeln. Ihr Anrufer ließ auch dann noch nicht locker, wenn die meisten Leute schon längst aufgegeben haben würden. Und dann - oh, mein Gott! - es mußte die Schule sein ...
Der nächste Apparat stand im Wohnzimmer. Sie rannte die Treppe hinunter und flog förmlich ans Telefon.
»... Hallo ...«
»Rosa?«
»Ja ... ich bin am Apparat ... Worum geht's? Was ist passiert?«
»Rosa. Wir kennen uns zwar noch nicht, aber vor einigen Wochen habe ich Ihnen geschrieben.« Erleichtert ließ sie sich in den Sessel fallen. Es war nicht die Schule. Die Stimme fuhr ruhig fort. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Der Ärger über die Unterbrechung war verflogen. Jetzt war sie nur noch erleichtert. Den Kindern war nichts passiert.
»... und als ich die Unterschrift gesehen habe, ist mir natürlich aufgefallen, daß sie nicht von Ihnen stammte.« Ein kurzes Lachen. »Da hab' ich mir gedacht, ein persönlicher Anruf wäre angebrachter. Von Mann zu Mann. Oder eher«, die Stimme nahm einen leicht verschlagenen Tonfall an, »von Mann zu Frau.«
»Es tut mir schrecklich leid. Was wollen Sie von mir?«
»Haben Sie denn nicht zugehört?«
»Ich habe gearbeitet, als das Telefon klingelte. Es dauert immer eine gewisse Zeit, bis ich mich gesammelt habe.« Rosa fühlte sich jetzt frischer. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, daß ihre Kinder in Sicherheit waren. Sie wußte, daß in den nächsten Minuten wieder der Ärger die Oberhand gewinnen würde. Der Mann begann von vorn. Nach kurzer Zeit unterbrach sie ihn.
»Ich kann Ihnen versichern, daß alles, was aus meinem Büro kommt, von mir stammt, selbst wenn meine Sekretärin unterschrieben hat.«
»Beantwortet sie denn nicht Ihre Post?«
»Ganz bestimmt nicht.«
Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Das ändert die Sache erheblich. Das läßt alles in einem anderen Licht erscheinen.«
Rosa blickte auf ihre Uhr. Noch eine halbe Stunde, bevor sie fort mußte. Jetzt hatte es ohnehin keinen Zweck mehr, wieder an die Arbeit zu gehen. Sie würde mindestens zehn Minuten brauchen, um sich wieder in die Szene einzuarbeiten, die sie, wie sie jetzt erkannte, sinnloserweise liegengelassen hatte.
»Wenn Sie tatsächlich bei City Radio arbeiten wollen, würde ich an Ihrer Stelle einen Brief...«
»Ich habe bereits einen Brief geschrieben.«
»- an Toby Winthrop schicken. Er ist der Sendeleiter und kann Ihnen eher weiterhelfen als
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