Der Neid eines Fremden
Innenflächen zu. »Ich habe nichts zu verbergen.«
Sie lächelte. »Tut mir leid.«
»Ich liebe dein Lächeln, Rosetta. Ich kann's nicht ertragen, wenn du mich mit diesem eiskalten Blick ansiehst.« Er unterbrach sich. »Haha.«
»Das tut weh.«
Er wechselte schnell und geschickt das Thema: »Du fragst dich sicher, wieso ich angerufen habe. Ich wollte mir von dir ein Band für meinen Kassettenrecorder stibitzen. Morgen früh bin ich mit dem Ü-Wagen auf der Oxford Street.«
»Gern. Solange du es zurückstellst.«
Duffy spielte die empörte Unschuld. »Ich hab' sie bislang immer zurückgestellt.«
»Duffy - du stellst sie nie zurück. Um welches Thema geht es denn?«
»Ladendiebstahl. Ich frag' die Leute, ob sie jemals in Versuchung gekommen sind. Ob es sie ärgert, daß sie mehr bezahlen müssen, um die Verluste auszugleichen. Das Übliche. Du solltest es mal versuchen.«
»Keine Angst. Ich versteck' mich lieber im Studio. Will mit der verrückten Menge da draußen nichts zu tun haben.«
Das war das Stichwort. Der perfekte Anlaß, sich über den eigentlichen Grund ihres Zusammentreffens zu unterhalten. Rosa hatte ihn über ihre interessanten Überlegungen zu Duffys Persönlichkeit für einen Moment vergessen.
Er fragte: »Hast du deine Nummer ändern lassen?«
»Es ist in Bearbeitung. Bis dahin blockieren sie die Leitung. Es dürfte nicht mehr als ein oder zwei Tage dauern.«
»Großartig. Er wird sich nicht mehr während der Sendung melden - soviel ist sicher. Natürlich könnte er's wieder auf dem Postweg versuchen. Wir hätten den Umschlag von dieser gräßlichen Karte behalten sollen. Dann würdest du seine Handschrift wiedererkennen und könntest die nächsten Briefe unbesehen in den Papierkorb werfen.«
»Aber wenn er jetzt an meine Privatnummer gekommen ist, wird er die neue wahrscheinlich auch herausfinden können.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Wer hat eigentlich deine Privatnummer?«
»Oh - ein paar gute Freunde. Die jeweilige Schule der Kinder, das St.-Thomas-Krankenhaus, Leos Eltern, meine Mutter. Das Studio, Sonia -«
»Ich will dich ja nicht entmutigen, aber das sind ziemlich viele Leute.«
»Aber die kommen ohnehin nicht in Frage. Könntest du dir vorstellen, daß meine Mutter, die Gilmours oder selbst das Krankenhaus unsere Nummer an einen Fremden weitergeben?«
Vielleicht ist es gar kein Unbekannter, dachte Duffy, würde das aber um nichts in der Welt laut sagen wollen. »Bist du dir sicher, daß du dich an nichts von dem erinnern kannst, was er gesagt hat? Ich weiß, daß du nicht gern darüber redest, aber vielleicht fällt dir etwas ein, was uns weiterhelfen könnte.«
Sie wollte tatsächlich nicht darüber reden. Innerhalb von Sekunden kam es ihr vor, als würde sich das anzügliche Wispern durch das Restaurant schlängeln, die weißen Tischdecken beschmutzen und sich in das Lächeln der hinausgehenden Gäste schleichen.
»Er hat irgend etwas über den Mord an einem Landstreicher gesagt. Und daß viele Leute um ihn trauern würden.«
»Bist du dir sicher? Ich meine, das klingt nicht gerade stimmig.«
»Nein, ich bin mir nicht sicher!« Ihre Stimme wurde schrill und laut, klang verzweifelt. Die Leute am Nebentisch unterbrachen ihr Gespräch und starrten sie an. »Ich hab' versucht, nicht hinzuhören - ihm nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken.«
»Ganz ruhig, Liebling.« Er streckte ihr seine Hand entgegen, und ohne nachzudenken, hielt Rosa sie fest.
»Ich habe Angst, Duffy.«
Er versuchte nicht, sie mit den banalen Sätzen zu beruhigen, die sie hören wollte: »Mach' dir keine Sorgen« oder »Wahrscheinlich ist er vollkommen harmlos« oder »Es wird schon alles in Ordnung kommen. Ich paß' auf dich auf.« Er bedeckte einfach mit seiner freien Hand ihre ineinander verschränkten Hände.
»Ich weiß nicht, warum du dich so um mich kümmerst.« Sie wies auf den Tisch, meinte aber viel mehr als nur das Essen. Sie spürte einen Druck auf ihrer Hand, der so leicht war, daß sie sich hinterher fragte, ob sie sich ihn nur eingebildet hatte.
Dann sagte er: »Das weißt du genau, Rosa.«
Als sie sich gegen einen Kaffee entschieden hatte, winkte er dem Kellner, um zu bezahlen.
Als sie vor die Tür traten, schwand innerhalb von Sekunden das Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit. Der beißende Wind nahm ihnen den Atem. Als sie lächeln
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