Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
Vom Netzwerk:
wollte, schienen ihre Mundwinkel eingefroren zu sein. Selbst ihre Augen schmerzten. Sie trug ihren Mantel und eine dazu passende Mütze.
      Duffy barg sein Gesicht im Pelzkragen neben ihrem Ohr. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie ihn näherkommen sah und sein Gesicht unscharf wurde. Er schrie gegen den Wind an. »Du siehst aus wie die Schneekönigin.«
      »Wie wer?«
      Er schüttelte den Kopf. Um ihre Füße wirbelten durch die Abfälle von Soho. »Ich wink' dir ein Taxi.« Mit erhobenem Arm trat er auf die Straße.
      Als sie sich ins Taxi setzte, fragte sie ihn: »Kommst du nicht mit? Ich kann dich irgendwo rauslassen.« Sie wollte sich nicht von ihm trennen und erkannte entsetzt, daß ihre Angst vorm Alleinsein nicht der einzige Grund dafür war.
      Im Restaurant hatte sie sich wohl, fast sicher gefühlt, Im stürmischen Wetter neben ihm schon weniger sicher; jetzt, als das Taxi davonfuhr, fühlte sie sich nicht nur unsicher, sondern auf merkwürdige Weise verlassen. Er hatte nicht versucht, sie zum Abschied zu küssen, hatte ihr nicht einmal einen freundschaftlichen Kuß auf die Wange gegeben. Als sie durch die Heckscheibe zurückblickte, sah sie ihn durch den strömenden Regen davongehen.
     
     

* 4
     
    Mitten im Gespräch war ihm plötzlich aufgefallen, daß sie ihm nicht mehr zuhörte. Diesen Eindruck hätte er nicht näher begründen können. Er hätte nicht gedacht, daß man den Unterschied am Telefon heraushören könne: es war anders, als wenn man sich gegenübersaß. Er wußte, daß sie nicht den Hörer aus der Hand gelegt, sondern einfach abgeschaltet hatte. Zunächst war er jedoch zu ihr durchgedrungen. Sie hatte die Luft angehalten. Offensichtlich war sie verwirrt gewesen, doch dann hatte sie sich ihm auf irgendeine Weise entzogen.
      Aber eines Tages würde sie ihm zuhören müssen. Dafür würde er schon sorgen. Sie sollte wissen, was passieren würde. Keiner sollte ihm hinterher vorwerfen können, daß er sie nicht fair, außerordentlich fair behandelt hatte, obwohl man das von ihr nicht gerade behaupten konnte. Erst hatte sie ihn zum Narren gehalten, dann hatte sie ihn im Stich gelassen.
      Und wahrscheinlich war er nicht der einzige. Wie viele Menschen mochten ihr schon geschrieben oder sie angerufen haben, nur um wie ein Stück Dreck behandelt zu werden? Der Schlag, den er ihr versetzen würde, wäre auch im Namen dieser Leute geführt. Im Namen all derer, die zur falschen Zeit am falschen Ort geboren waren, denen das Glück nie zugeflogen war. Wieder verspürte er die reinigende Wirkung dieser moralischen Gewißheit. Es war befriedigend zu sehen, daß Gerechtigkeit geübt wurde, aber das Werkzeug dieser Gerechtigkeit zu sein...
      Er zog das Notizbuch zu sich heran. Er würde seinen Beitrag zu ihrer Unterhaltung wiederholen müssen, diesmal aber sicherstellen, daß sie ihm zuhörte. Das würde ihm gelingen, wenn er alles niederschrieb, oder, besser noch (sie würde den Brief nach den ersten paar Sätzen vielleicht in den Papierkorb werfen), es auf Band aufnahm. Ihm war klar, daß er damit ein größeres Risiko einging, da andere Leute das Band mithören könnten, doch das durfte ihn jetzt nicht bekümmern. Ihr seine Vorstellungen in aller Klarheit darzulegen, war unerläßlicher Bestandteil seines Gesamtplans, und es gab keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen, ohne unehrenhaft zu wirken. Auf keinen Fall würde er ihr das Band durch die Post zustellen, damit es zusammen mit den anderen unerwünschten Briefen im Papierkorb landete. Nein. Er würde die Nachricht auf ihr eigenes Tonband sprechen. Das würde sich schwieriger gestalten, aber Schwierigkeiten waren ohnehin dazu da, überwunden zu werden.
      In Blockschrift notierte er sich: NACHRICHT ÜBERMITTELN. Dann: 1. ZUGANG ZUM STUDIO VERSCHAFFEN. Er kannte die Architektur des Gebäudes, wußte genau, wo sich ihr Büro befand. Und wie der Empfangsdienst organisiert war. Diesmal würde er nicht blind durch die Gegend tappen. Er mußte sich nur noch einen vernünftigen Grund einfallen lassen, um ungehindert in das Gebäude zu gelangen. Kein Termin - der würde sofort überprüft werden. Er dachte angestrengt, aber gelassen nach. Er fühlte sich zuversichtlich, denn er wußte um die Richtigkeit seines Tuns, wußte, daß er eine Lösung finden würde.
      Ihm fiel ein, daß ein so kleiner Sender wie City Radio wahrscheinlich keine nennenswerte Wartungsmannschaft hätte. Wenn irgend etwas zu reparieren war, bestellten sie

Weitere Kostenlose Bücher