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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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wußte, daß er seine Nachricht ungestört übermitteln könnte. Die Zeichen standen günstig. Der Waschraum war leer. Er hatte überlegt, mit dem Schraubenschlüssel am Abfluß herumzuhantieren oder am Spülkasten herumzubasteln, während er wartete, doch es bestand immer noch die Möglichkeit, daß derjenige, der für die Handwerker zuständig war, den Raum betrat. Es hatte keinen Sinn, sein Glück auf die Probe zu stellen.
      Er ging in eine der Kabinen und verstaute seine Werkzeugtasche außer Sichtweite hinter dem Spülkasten. Irgendjemand hatte die Sun liegenlassen, mit der er sich die restliche Zeit vertreiben konnte. Er schlug die dritte Seite auf. Er fand es widerwärtig, daß diese Mädchen sich dazu hergaben, jedem dahergelaufenen Spanner, der das Geld für eine Zeitung hatte, alles zu zeigen, was sie vorzuweisen hatten. Für Geld taten manche Leute alles, was man von ihnen verlangte. Sollte eines seiner Mädchen je auf die Idee kommen, etwas Ähnliches zu tun, würde er sie zurechtstauchen, daß ihr Hören und Sehen verginge. Er stellte sich vor, wie Sonia, mit nichts als einem Bikiniunterteil bekleidet, an einem Eis lutschte, begann zu kichern und fing sich erst wieder, als jemand den Waschraum betrat.
      Er wußte, daß das Büropersonal um halb sechs, also in fünf Minuten, Feierabend hatte, und plante, sich eine weitere Viertelstunde versteckt zu halten, bis alle gegangen wären. Von Sonia hatte er allerhand Informationen bekommen. Er wußte, wo die Studios waren, in denen bis Mitternacht gearbeitet wurde. Ihre Abneigung gegen Rosa war tatsächlich von Vorteil gewesen. Eine Unmenge an Informationen und unfreundliche persönliche Bemerkungen sprudelten nur so aus ihr hervor. Er brauchte nur zu fragen: »Und wie ging's unserer Madame heute?« - und schon legte sie los.
      Klospülungen wurden betätigt. Hände wurden gewaschen. Zwei Männer verbrachten endlose Zeit mit der Planung eines Abendessens, wobei der erste eine nicht endenwollende Liste von Dingen aufzählte, die seine Frau nicht vertrug, weil sie schwanger war. Der zweite stimmte ihm seufzend zu und unterbrach ihn nur, um zu sagen: »Das brauchst du mir nicht zu erzählen!« Der Rauch einer teuren Zigarre zog in Fenns Kabine. Dann wurde es still.
      Mit der Werkzeugtasche in der Hand verließ er den Waschraum. Auf dem Flur schien niemand zu sein. Einige Meter entfernt war der Aufzug. Er drückte auf den Knopf und zog sich - für den Fall, daß jemand im Aufzug war - wieder auf die Toilette zurück. Die Türen öffneten sich geräuschlos; der Aufzug war leer. Er sprang blitzschnell hinein und drückte auf den Knopf für den vierten Stock. Als der Aufzug hielt, konnte er sich trotz der überwältigenden Gewißheit, daß das Glück auf seiner Seite war, eines momentanen Angstgefühls nicht erwehren. Falls ihm jetzt, sobald er auf den Flur trat, jemand begegnete, würde er seine Anwesenheit schwerlich erklären können. Im vierten Stock hatte ein Klempner wenig zu suchen. Aber niemand war zu sehen. Er ging direkt auf Rosas Büro zu.
      Sonia hatte ihm verraten, wo der Kassettenrecorder aufbewahrt wurde, als er in einer seiner scheinbar so naiven Fragestunden wieder einmal vorgegeben hatte, alles über ihren Arbeitsalltag wissen zu wollen: »Damit ich mir vorstellen kann, wie du arbeitest, mein Schatz.« Er setzte sich an Rosas Schreibtisch, streifte sich Handschuhe über und stellte den Kassettenrecorder vor sich auf den Tisch. Er hatte alles aufgeschrieben, was er sagen wollte, zog jetzt den Zettel hervor und strich ihn glatt, obwohl er wußte, daß das überflüssig war. Die Wörter hatten sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Er begann zu sprechen.
     
    Sonia wartete bereits seit einer Dreiviertelstunde. Zunächst hatte sie sich drinnen in der Nähe der Fahrkartenschalter aufgehalten, um nicht naß zu werden, doch dann war ihr eingefallen, daß Fenn zur Station kommen und wieder gehen könnte, wenn er sie draußen nicht entdeckte. Dieser Gedanke jagte ihr einen solchen Schrecken ein, daß sie alle drei bis vier Minuten auf die Straße lief, um nach ihm Ausschau zu halten, und jetzt war sie so naß, als hätte sie die ganze Zeit im Regen gestanden.
      Sie hatte das »Wenn-dann«-Stadium erreicht. Wenn ich meine Augen schließe und bis zwanzig zähle und sie vorher nicht öffne, so gern ich es auch möchte, wenn ich das tue, wird er der erste sein, den ich sehe. Sie zählte bis zwanzig und öffnete die Augen. Ein blonder junger Mann

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