Der Neid eines Fremden
bahnte sich seinen Weg durch die Menge. »Fenn! Hierher-«
Aber aus der Nähe sah er Fenn gar nicht ähnlich. Als er einige Münzen in den Fahrkartenschalter warf, glitt sein Blick fast geringschätzig über ihren Körper. Er zog zwei Tickets und verschwand wieder in der Menge. Er gesellte sich zu einem ziemlich auffälligen Mädchen in einem Lederoverall, das eine silbern glänzende Perücke im Afro-Look trug. Er flüsterte ihr etwas zu, woraufhin sie sich umwandte, Sonia anstarrte und beide laut zu lachen begannen. Oh! - wie sehr sie sich wünschte, daß Fenn bereits hier wäre, so daß sie ihn am Arm nehmen und über diese Leute die Nase rümpfen könnte. Sie gab vor, nichts bemerkt zu haben.
Am Nachmittag war er auf einer Vorsprechprobe gewesen, aber er hatte nichts darüber gesagt, daß es spät werden könnte. Vielleicht hatte er warten und noch einmal spielen müssen. Es wäre wunderbar, wenn er eine Stelle bekäme, obwohl Sonia nicht umhin konnte, sich über die Schauspielerinnen Gedanken zu machen, mit denen er zusammenarbeiten würde. Weitere zehn Minuten vergingen. Und wenn er einen Unfall gehabt hatte, überfahren worden war? Oder sogar überfallen worden war? Das konnte sie sich allerdings kaum vorstellen. Er hatte diese gewisse Ausstrahlung. Zwar wirkte er nicht direkt unzerstörbar, aber er vermittelte eine überlegene und geheimnisvolle Selbstsicherheit, als wisse er etwas, das dem Rest der Welt nicht zugänglich war.
Als Sonia an ihre wenigen Zusammentreffen dachte, fragte sie sich, wie ihre Beziehung innerhalb so kurzer Zeit ein solch fortgeschrittenes Stadium erreichen konnte. Er hatte seine Schüchternheit abgelegt, und obwohl er sich nicht direkt dazu geäußert hatte, war Sonia zu der Überzeugung gekommen, daß er sie verlassen würde, sollte sie ihm je einen seiner »körperlichen Wünsche« abschlagen. Sie wünschte sich oft, er wäre ein wenig zärtlicher, aber das würde sich vielleicht im Lauf der Zeit ergeben. Sie war sich sicher, daß er sich als Vater ändern würde. Und wenn alles so lief, wie sie es sich vorstellte, würden sie auf jeden Fall Kinder haben. Als erstes wollte sie ein Mädchen mit Fenns Gesichtsfarbe und ihrem eigenen freundlichen Wesen. Und hübsch sollte es sein. Wenn man hübsch war, konnte man auf Freundlichkeit verzichten.
»Hallo.«
Er war von hinten auf sie zugekommen. Als sie sich ihm in die Arme warf, überzog ein erleichtertes Strahlen ihr Gesicht. Ihre Weinflasche traf ihn am Knie.
»Oh. Komm schon, gib mir einen Kuß, Sony.«
Er nannte sie manchmal Sony, weil sie, wie er behauptete, so schnell umschalten konnte. Sonia verstand zwar nicht, was er mit dieser Bemerkung eigentlich sagen wollte, freute sich aber über den Kosenamen: Es war eine freundliche Geste und brachte ein Zusammengehörigkeitsgefühl zum Ausdruck. In der U-Bahn kuschelte sie sich an ihn.
»Liebling«, sie fuhr ihm leicht übers Gesicht, »deine Oberlippe ist ja ganz rot.«
Er zuckte zurück. Es hatte ihn nicht gestört, daß sie ihn im überfüllten Schalterraum geküßt hatte, doch hier waren sie auf peinliche Weise den Blicken der anderen ausgesetzt. Ihm kam der Gedanke, daß alle im Wagen glauben mußten, sie wäre das Beste, was er kriegen könnte.
»Das ist Mastixgummi. Diese Rolle, von der ich dir erzählt habe - na ja, ich hab' einen von diesen Oberschullehrern gespielt. Weißt du, die mit den Schmalzstimmen. Deshalb hab' ich diesen kleinen Schnurrbart getragen. Einen hellen. So 'ne Art Edward Fox.«
»Dann war es also altmodisch?«
»Was?«
»Das Stück. Ich meine, heute trägt doch kaum noch jemand einen Schnurrbart.«
»Ja. Es hat in den dreißiger Jahren gespielt.«
»Was für eine Rolle hattest du?«
»Nichts Großartiges. Obwohl ein oder zwei gute Szenen dabei waren.«
»Wovon handelt das Stück?«
»Wie soll ich das wissen? Man bekommt nur ein paar Seiten zu lesen. Nicht das ganze Stück.« Mein Gott, war er hungrig. Richtig ausgehungert. Jetzt, wo er alles hinter sich hatte, könnte er gut und gern ein Abendessen mit zehn Gängen verdrücken. »Was hast du denn in deiner Tasche, Sony?«
Sie richtete die Pasta an. Gestern abend, als sie sich nicht getroffen hatten, hatte sie eine Fleischsauce zubereitet, alle Zutaten sorgfältig kleingeschnitten und geduldig zugesehen, wie sie langsam vor sich hinköchelten. Ihr Glück war ihr in dem Moment mit neuer, außerordentlicher Kraft zu
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