Der Neid eines Fremden
zu ihr nach Hause gekommen war. Abgesehen davon, daß sie von ihrem letzten gemeinsamen Abend vor zwei Tagen absolut erschöpft - und wund - war, hatte sie mit ihren Träumen allein sein wollen ...
Zunächst hatte sie die Liste sehr verwirrt. Als sie sich alles gemerkt hatte, hatte sie sie wieder sorgfältig unter die Rechnung geschoben. Sie wollte ihn nicht beschämen oder verärgern. Aber als sie später, mit einem Vitamalz und einer Wärmflasche in ihrem kamelhaarfarbenen Nachthemd vor dem gasgespeisten Kamin gesessen hatte, begann sie zu verstehen. Da er aus ihrem Telefongespräch wußte, wie heftig sie auf das reagierte, was Rosa zugestoßen war, hatte er eine Liste von Fragen über jeden einzelnen Aspekt des Verbrechens zusammengestellt. Er wollte sicherstellen, daß sie nichts ausließ; wollte ihr den bestmöglichen Rahmen für ihre Geschichte bieten.
Sonia freute sich über seine Aufmerksamkeit. Sie mußte zugeben, daß er nicht immer so rücksichtsvoll war, aber so waren die Männer nun einmal, und Frauen mußten lernen, damit zu leben. Als sie so gemütlich in ihre Träume versunken vor dem knisternden Feuer saß, kam ihr der Gedanke, daß sie eigentlich viel glücklicher war, wenn Fenn abends nicht bei ihr war. Wenn sie einfach dasitzen und von ihm träumen konnte. Beim Träumen konnte man all die Eigenschaften einer Person weglassen, die man nicht mochte, und alle taten und sagten, was man wollte.
Aber die Liste war sehr ermutigend. Zugegeben, daß er sie erstellt hatte, wies auf ein gewisses Maß an Voyeurismus hin, aber was machte das schon? Er war nicht schlimmer als jene Leute, die die News of the World oder die Sun lasen und sich nur die schlüpfrigen Stellen herauspickten. Das war nur menschlich. Vielleicht (Sonia sonnte sich in ihrer eigenen Aufrichtigkeit) war sie selbst davon auch nicht ganz ausgenommen ...
Die Wärme, die die vielen Körper ausstrahlten, ließ den Schnee auf den Stiefeln und den Regenschirmen schmelzen und führte dazu, daß die Kleidung nicht nur feucht, sondern ein wenig schimmelig roch. Als sie aufsah, fiel ihr Blick durch eine Reihe mißmutiger oder gleichgültiger Gesichter auf ein Werbeplakat. Solange sie denken konnte, hatte es in der U-Bahn Anzeigen für die Eheringe von Bravington gegeben. Neben der, die sie jetzt sah, hing ein Bild von einigen Häusern, die in einer neuen Siedlung in Milton Keynes standen. Es waren halbe Doppelhäuser mit riesigen Aussichtsfenstern und Gärten oder Terrassen, auf denen Blumenkübel standen. In einem der Gärten war eine Schaukel, auf der ein hübsches kleines Mädchen saß, das von seiner jungen Mutter angeschubst wurde. Auf der Terrasse hockte ein gutaussehender junger Mann in Jeans neben seinem Sohn. Sie bastelten an einem Fahrrad. Die Sehnsucht, die Sonia überkam, als sie diese Szene betrachtete, war so stark und schmerzlich, daß ihr die Tränen kamen. Rasch wandte sie ihren Blick der Bravington-Braut und ihrem goldenen Ehering zu. Schließlich mußte eins nach dem anderen kommen.
Natürlich war es ihre Aufgabe, die Hochzeit zu planen. Es war zwar in Ordnung, wenn Fenn sagte, er würde über diese Dinge nachdenken. Aber Gedanken waren noch lange keine Pläne. Pläne waren so viel handfester. Die Bahn hielt am Green Park. Noch zwei Stationen bis Holborn. Sie hatte also noch genug Zeit, einen Blick auf ihre Liste zu werfen. Sie wühlte in ihrer Tasche und zog das kleine Notizbuch hervor, das sie erst neulich gekauft hatte; auf dem Einband waren silberne Glöckchen abgebildet, und an der Seite hing ein Kugelschreiber.
Natürlich würde sie in Weiß heiraten. Schließlich wußte keiner Bescheid. Und wie viele Frauen waren heutzutage bei ihrer Hochzeit noch Jungfrauen? Einige waren sogar schwanger. Sie blätterte in ihrem Notizbuch, bis sie die Gästeliste gefunden hatte. Immer wieder nahm sie Änderungen vor. Ihren Vater und ihre Stiefmutter würde sie allerdings auf jeden Fall einladen und sei es nur, damit sie gemeinsam über den alten Soundso herziehen könnten. Das gleiche galt für ihre Freundin von der Sekretärinnenschule, mit der sie noch Kontakt hatte und einmal im Monat zu Mittag aß. Die Leute an ihrem Arbeitsplatz bildeten einen gewissen Unsicherheitsfaktor. An manchen Tagen fielen sie förmlich über einen her, an anderen war es so, als würde man für sie nicht existieren. Das galt besonders für Mrs. Gilmour. Sonia schwankte zwischen dem Wunsch, Rosa einzuladen, um ihr Fenn vorzuführen,
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