Der Neid eines Fremden
später fiel die Haustür ins Schloß.
Jetzt stand Fenn ein wenig unsicher in der Mitte des Schlafzimmers.
Obwohl in Sicherheit, kam er sich ein bißchen verloren vor. Er hatte das Haus seiner Feindin für sich allein, und das mußte von Vorteil sein. Aber wie könnte er diese Situation ausnützen? Er versuchte, strategisch wie ein Soldat zu denken. Je mehr er von seinem Gegner wußte und je weniger der über ihn Bescheid wußte, desto besser. Er beschloß, sich umzusehen.
Zunächst mußte er eingestehen, daß er enttäuscht war. Der Kleiderschrank war ein riesiger, altmodischer Kasten. Er war aus seidig glänzendem, dunklem Holz mit Ziselierungen aus Gold und Perlmutt und hätte seiner Großmutter gehören können. Das Bett paßte zu dem Schrank, denn an jeder seiner anmutig geschwungenen Ecken war ein Schnörkelmuster aus Gold angebracht. Es gab nicht einmal einen Toilettentisch. Dann sah er, warum. Eine der Türen führte in ein Badezimmer. Eine elfenbeinfarbene Badegarnitur und eine Menge farnähnlicher Pflanzen. Eine Wand war mit gemustertem Spiegelglas gekachelt, wie man es oft in altmodischen Pubs sieht. Darin spiegelte sich der Farn, was das Bad, so dachte Fenn, aussehen ließ wie die Höhle dieses verfluchten Weihnachtsmanns. Überall standen Flaschen und Tiegel und in der Luft lag ein Duft, der aus einem großen Zerstäuber mit der Aufschrift Fleur de Rocaille kam.
Im Stockwerk darunter waren drei Zimmer. Im ersten lag eine Unmenge von Puppen und Stofftieren, die über ein einfaches Bett verteilt waren, zu dem ein passender Kleiderschrank gehörte. Die Vorhänge waren mit Butterblumen übersät. Von der Decke hingen einige Mobiles: eines aus funkelnden Parabolspiegeln, ein anderes aus lustigen Fröschen und ein drittes aus weißen Seevögeln, die leise klirrten, sobald sie aneinanderstießen.
Das Zimmer daneben war mit demselben Bett und demselben Kleiderschrank ausgestattet und bis zur Decke mit irgendwelchem Kram vollgestopft. Stapel von Spielkartons, Lego, ein Fort, berittene und Fußsoldaten, flankiert von Geschützen. Hunderte von Büchern und Regale voller Schalen, die mit Bergkristallen gefüllt waren; getrocknete Blätter und gepreßte Blumen, Seeigel, ein langes Fischskelett, der Kiefer irgendeines Tieres, ein Musikinstrument in einem Kasten, ein schönes Mikroskop. Neben einem Poster von Duran Duran hing ein Pinnboard aus Kork. Angeheftet waren die Programme von Wimbledon und einem Rockkonzert, einige Spielpläne und zwei oder drei hingekritzelte Notizen: nicht vergessen, Raumfahrt- oder Naturkundemuseum anzurufen. An Antragsformular für BMX-Rennen im Crystal Palace Stadion denken - Anmeldeschluß 20. Dezember. Die Vorhänge waren khakifarben und hatten hellgraue Streifen. Von der Decke hing ein herrlicher Drache in Form eines chinesischen Fabeltiers. Es gab einen auf Böcken stehenden Tisch, wie er gewöhnlich von Innenarchitekten "als Arbeitsplatz benutzt wurde. Darauf lagen Kugelschreiber, Notizblöcke, Farben und Bleistifte. Und ein Computer.
Fenn fragte sich, wie alt der Junge, dieser glückliche kleine Mistkerl wohl sein mochte, der all diese Dinge besaß. Er fragte sich, wie er zu den Muscheln und dem Skelett gekommen war, und stellte sich vor, wie er, vielleicht gemeinsam mit seinem Vater, auf der Suche nach Strandgut eine einsame Küste entlanglief. In einiger Entfernung würden seine Mutter und seine Schwester auf dem Strand einen Picknickkorb auspacken: eine Decke ausbreiten und echte Porzellantassen und -teller darauf arrangieren. Er fragte sich, wie oft man Weihnachten oder Geburtstag feiern mußte, um eine solche Schatzhöhle zusammenzustellen. Wie viele Umarmungen, Küsse und liebe Grüße es brauchte; wie viele Bögen farbigen Geschenkpapiers und wie viele Meter glänzender Schnur? Wie groß mußte das Netz aus Großeltern, Onkels und Tanten sein, die ihn alle für ein Goldstück hielten. Plötzlich ergriff ihn ein tiefer, überwältigender Haß auf dieses unbekannte Kind. Er wollte die kleinen Muscheln zerdrücken, den Tierkiefer unter seinen Füßen zu Staub zermahlen und das Mikroskop so lange gegen den Computer schlagen, bis beide zerstört wären.
Aber das gehörte nicht zu seinem Plan. Er beabsichtigte nicht, sie jetzt schon wissen zu lassen, daß er in ihrem Haus gewesen war. Es wäre ein Leichtes gewesen, etliche Dinge zu zerstören, das Mobiliar des Hauses auseinanderzunehmen oder, wie er es von einigen Einbrechern gehört hatte, einen
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