Der Neid eines Fremden
obszönen Hinweis auf seine Anwesenheit in ihrem Bett zu hinterlassen. Doch das war nicht seine Art. Bislang hatte er ein gewisses Stilgefühl bewiesen. Er war diskret, gerissen und einfallsreich gewesen und wollte sich jetzt nicht unmöglich machen, indem er ein gewöhnliches und abstoßendes Verhalten an den Tag legte. Zudem würden all diese Besitztümer und all die Liebe dem Jungen die Mutter nicht zurückbringen können, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Sobald ihm der Neid die Kehle zuzuschnüren drohte, würde er sich darauf besinnen.
Das dritte Zimmer stand voller Bücher und Zeitschriften und war braun gestrichen; einige Stufen tiefer erstreckte sich ein langer Raum über die gesamte Breite des Hauses, der durch große weißlackierte Türflügel unterteilt war, die jetzt offenstanden. Statt eines Teppichs lagen etliche Läufer in warmen, hellen Farben auf dem Boden, und an den Fenstern hingen lange, seidige Vorhänge.
Fenn ging langsam im Raum umher und fuhr mit der Hand über den glänzenden ovalen Tisch. In der Mitte standen ein Kerzenständer und eine Schale mit perfekt geformten, glänzenden Äpfeln. Er nahm sich einen. Rauhe rötliche Streifen auf grünem Untergrund. Daneben stand ein Krug mit Zweigen, die winzige rosafarbene und stark duftende Blüten trugen. In einer Ecke des Raums tickte eine schmale Standuhr geruhsam vor sich hin. Auf dem emaillierten Zifferblatt war eine Hirtenszene abgebildet: eine behäbige Schäferin, die unter einem Baum mit weitausladenden Ästen saß, während sich im Hintergrund einige Lämmer tummelten. An den Wänden hingen drei Gemälde in goldenen Holzrahmen und einige Aquarelle von Küstenstädten. Um den Tisch standen acht Stühle mit geschwungenen Rückenlehnen und Sitzpolstern aus aprikosenfarbenem Samt. Fenn zog sich einen zu sich heran und nahm darauf Platz, während er in den Apfel biß. Es war schon seltsam, welchen Geschmack manche Leute hatten. Wahrscheinlich war nichts davon billig, doch er konnte sich nicht vorstellen, daß seine Eltern so etwas kaufen würden, selbst wenn sie in Geld schwämmen.
Auf einem schmalen Büfett, dessen Design dem Tisch ähnelte, standen auf einem Silbertablett einige Flaschen und Karaffen. Er öffnete das Schränkchen, fand einen Tumbler aus geschliffenem Glas und füllte ihn zur Hälfte mit Whisky. Er trank nur selten. Er mochte keinen Alkohol und verabscheute undisziplinierte Leute, die ohne ihn nicht auskamen. Aber er wollte an diesem Wohlstand teilhaben, ohne tatsächlich etwas zu stehlen, das später vermißt würde.
Am anderen Ende des Raums, mit Blick auf den Garten, standen ein Chesterfieldsofa und zwei Sessel, die mit einem gelb-grünen Stoff bezogen waren, dessen Muster aus Wasserlilien bestand. Er ließ sich in einen der Sessel fallen und streckte seine Füße auf einem bestickten Fußbänkchen aus. Er trank ein wenig Whisky (er schmeckte widerlich) und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Die Uhr tickte langsam vor sich hin.
Er spürte, wie er sich allmählich entspannte. Was war an diesem Raum so besonders? Die Minuten schienen unmerklich ineinander überzugehen. Die Zeit verging nicht in Abschnitten, wie es der Fall war, wenn man Pflichten zu erledigen, Termine einzuhalten und Leute zu treffen hatte, sondern floß dahin wie ein Strom, geräuschlos und indifferent. Was ihn beeinflußte, war die Ruhe.
Zum ersten Mal sah er weder eine Verbindung zwischen Geld und Besitz noch zwischen Geld und Sex, sondern zwischen Geld und Stille. Er konnte sich nicht erinnern, jemals an einem Ort gewohnt zu haben, der nicht von einer beständigen Geräuschkulisse bestimmt war. Ständig war das plärrende Geräusch der Fernseher und Radios anderer Leute durch die Zimmerwände gedrungen, waren schreiende Kinder und jaulende Hunde zu hören gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht gewußt, daß etwas anderes möglich war. Daß es Leute gab, die das Glück hatten, lediglich von den selbsterzeugten Geräuschen ihres eigenen Lebens umgeben zu sein. Das war ihm in der Werbung nicht vermittelt worden. Dort war von Autos und Videorekordern und Drinks und Kleidung die Rede; nicht von Stille. Der Whisky und die ruhige, friedliche Atmosphäre milderten seinen Haß. Darüber hinaus schienen sie eine heilende Wirkung auf ihn zu haben, die ihn, wie er spürte, schwach werden lassen könnte. Er spürte, wie ihm seine Zerstörungslust, sein eigentlicher raison d'etre, auf subtile und unerfreuliche Weise
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