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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Boldirinthe.
    »Im Seengebiet«, antwortete Taniane. »Bäuchlings, mit dem Gesicht im Schlick an einem kleinen Tümpel, sagt Sipirod, und um sie herum ein ganzer Haufen Tiere, die sie beobachteten, ein paar Caviandis und Stinchitole, eine kleine Schar von Scantrinen, ein, zwei Gabools. Sipirod sagt, sie hätte noch nie etwas dermaßen Verblüffendes gesehen wie diese ganzen Tiere, die sich um sie geschart haben. Fast als würden sie sie beschützen wollen. Da muß sie dann so etwa zwei Tage lang gelegen haben. Mit brennendem Fieber, sagt Sipirod. Sie muß Wasser aus den Tümpeln getrunken haben, sagt Sipirod. Und natürlich hatte sie nichts zu essen.«
    »Ist sie irgendwann wieder bei Bewußtsein gewesen?«
    »Nein, immer im Delirium. Ab und zu stammelt sie was – von der Königin, vom Nest, eben so dieses Zeug. Und ruft Kundalimons Namen. Die beiden waren ein Liebespaar, wußtest du das? Und sie wollten zusammen flüchten, Boldirinthe. Zu den Hjjks in ihr Land!«
    »Armes Kind. Kein Wunder, daß sie davongelaufen ist.« Aber dann grunzte die Opferfrau und schob das Ganze als jetzt völlig unwichtig beiseite. »Bringt mir mal den Tisch da drüben hierher, ja? Da stellt ihr dann meinen Sack drauf. Nein, auf dieser Seite, wo ich rankommen kann! Und dann holt mir was, worauf ich mich setzen kann. Am Bett. Ich kann mich nämlich nur grad so mühsam auf den Beinen halten, wißt ihr…«
    Dann nahm sie Niallis Arm hoch und strich mit den Fingern über die ganze Länge hin, um die Lebensströme zu ertasten. Sie waren sehr schwach. Das Mädchen war warm, doch ihr Lebensstrom floß stockend wie erstarrendes Quecksilber. Boldirinthe drehte den Kopf von Taniane fort, weil sie nicht wollte, daß der Häuptling ihr die tiefe Besorgnis am Gesicht abläse. Einige Stunden länger in diesem Sumpf, und wir hätten hier ein totes Mädchen. Und es war immer noch möglich, daß sie nicht zu retten sein würde.
    Nein, das werde ich nicht zulassen, dachte Boldirinthe.
    Sie zog aus ihrem Sack die zwei großen Heilstäbe und legte sie Nialli an beide Seiten. Die bewegte sich kaum. Dann zog sie ihre Kräuter und Salben hervor und stellte sie säuberlich in einer Reihe auf dem Tisch auf. Den Talisman des Heiler Friit und den von Mueri-Trostspenderin plazierte sie an Niallis Kopf, beziehungsweise an den Füßen.
    Zu Sipulakinain sprach sie: »Schaff mir das Kohlebecken da näher. Wir werden das Laub Friits darin brennen, und sieh zu, daß du selber auch von dem Rauch einatmest. Er wird auch dir zuträglich sein.«
    »Ich bin bereits Rekonvaleszentin, Boldirinthe«, sagte Sipulakinain.
    Die Opferfrau bedachte die Lebenspartnerin des Kornhändlers mit einem skeptischen Blick. »Na, dafür sei Yissou aber Dank«, sagte sie, mit geringer Überzeugung. Gemeinsam mühten sie sich ab, die aromatischen Kräuter zu entzünden. Taniane schaute schweigend und reglos zu. Gegenüber in der Ecke murmelte die uralte Fashinatanda tonlose Gebete blind vor sich hin. Bläulichroter Rauch wölkte auf.
    »Mehr!« sagte Boldirinthe. »Noch fünf Stengelchen.«
    Sipulakinains Hände zitterten, doch sie legte die Kräuterzweiglein auf die Glut. Boldirinthe ergriff Nialli an den Knöcheln und hielt sie fest. Sie spürte die Stauung in der Lunge des Mädchens, das erschöpfte Herz. Der Seelenkern war unterkühlt und geschwächt. Doch Nialli war stark. Man würde diese Schwachheiten aus ihr heraustreiben können.
    Der Rauch im Raum verdichtete sich.
    Und jetzt zeigten sich auch die Götter sichtbar.
    Schon lange, lange besaß Boldirinthe die Gabe (und die Technik), die Himmlische Fünffalt deutlich sehen zu können. Sie sprach darüber nie zu anderen, denn sie wußte, daß die Götter, so real existent sie waren, bisher niemals sich anderen handgreiflich gestalthaft manifestiert hatten, sondern ausschließlich als mächtige abstrakte Präsenzen. Aber bei ihr war das anders. Ihr zeigten sie sich in deutlicher Gestalt und mit deutlichem Gesicht, und in beidem urvertraut. Mueri, die Trostspenderin, sah für Boldirinthe ziemlich deutlich so aus wie Torlyri, eine hochgewachsene, kräftige und beeindruckend schöne Frau, deren dunkler Pelz eine weiße Zeichnung aufweist. Dawinno-der-Zerstörer sah aus wie Harruel: ein wildwütiger rotbärtiger Riese. Yissou war weise und abweisend-fern, dünnpelzig und fast so etwas wie ein Menschlicher. Der Ernährer, Emakkis, sah feist aus und fröhlich. Friit-Heiland blickte enorm ernst drein, war zierlich, fast schwach, beinahe ein

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