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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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VOLKS-Minorität, die wie seine unmögliche Nichte Nialli Apuilana anscheinend an überhaupt keine Götter glaubte. Was war das doch für ein trostloses Dasein, gottlos unter dem feindseligen Himmel einherzugehen! Wie konnten diese Leute das nur ertragen? Erstarrte ihnen denn nicht das Herz in eisiger Angst in dem Wissen, daß da keiner war, der sie beschützte? Ein solches Glaubens- oder Unglaubens-Konzept erschien Thu-Kimnibol als schlichtweg verrückt. Immerhin – Nialli Apuilana konnte man eine gewisse Entschuldigung zubilligen. Es war schließlich allgemein bekannt, daß die Hjjks irgendwie ihren Verstand manipuliert hatten.
    Allmählich tauchte Thu-Kimnibol aus seiner Götterversunkenheit wieder auf. Er merkte, er saß zusammengesunken an Boldirinthes rohem Holztisch, und sie watschelte herum und stellte die Götter wieder in den Schrein zurück. Sie sah aus, als wäre sie mit sich selbst recht zufrieden. Sicher wußte sie, wie stark die Vereinigung mit den Göttern gewesen war, die sie für ihn bewirkt hatte.
    Stumm umarmte er sie. Das Herz floß ihm über vor Liebe zu ihr. Nach und nach schwand der heftige Eindruck des Kontakts mit den Numina, und er schickte sich an, sich zu verabschieden.
    »Sei auf der Hut vor König Salaman!« sagte Boldirinthe, als er bereits unter der Tür der Kammer stand. »Salaman ist ein sehr schlauer Bursche.«
    »Als ob ich das nicht wüßte, Mutter Boldirinthe.«
    »Viel schlauer als du!«
    Thu-Kimnibol lächelte. »Ich bin nicht ganz so verblödet, wie man allgemein zu glauben scheint.«
    »Dennoch ist er schlauer als du. So gescheit wie Hresh ist er, der Salaman. Glaub mir! Sei auf der Hut vor ihm. Er wird dich irgendwie austricksen wollen.«
    »Aber ich durchschaue Salaman. Wir verstehen einander durchaus.«
    »Ich hab gehört, er ist in seinen späten Jahren wild und gefährlich geworden. Er hat die Macht schon so lange inne, daß er davon wahnsinnig geworden ist.«
    »Kaum«, sagte Thu-Kimnibol. »Gefährlich, ja, das vielleicht. Aber ganz gewiß ist er kein Verrückter. Ich hab Salaman über eine lange Zeit gekannt, als ich in Yissou lebte. Und man merkt, ob einer den Wahnsinn in sich trägt oder nicht. Er ist ein stabiler Typ.«
    »Ich hab mal mit ihm kopuliert«, sagte Boldirinthe. »Also weiß ich Dinge von ihm, die du nie wissen wirst. Fünfzig Jahre ist das nun her, aber ich hab es niemals vergessen. So ein stiller Bub war der damals. Aber in ihm drin, da brannte ein Feuer, und so ein Feuer, das brennt sich in fünfzig Jahren nach außen durch. Sei auf der Hut, Thu-Kimnibol!«
    »Ich danke ergebenst, Mutter Boldirinthe.«
    Und er kniete nieder und küßte das Ende ihrer Stola.
    »Sei auf der Hut…«
    Auf dem Weg von der Klosterzelle der Opferpriesterin in die Unterstadt kreuzte sich Thu-Kimnibols Weg mit dem der Nialli Apuilana, die ihm auf dem Kopfsteinpflaster der steilen Minbain-Gata entgegenkam. Es war ein heller Tag voller Goldlicht, und von Westen her wehte ein duftgeschwängerter Wind aus den Berggärten über der Bucht, wo die gelbblättrigen Sthamidien-Bäume in voller Blüte standen. Nialli trug ein Tablett mit Essen und eine Karaffe hellen Würzweins für Kundalimon.
    Ihre Stimmung hatte sich ein wenig, wenn auch nicht viel, gehoben. Nach dem bestürzenden Zusammenbruch vor der Präsidialversammlung hatte sie sich mehr oder weniger in eine Klausur zurückgezogen. Tagelang hatte sie sich kaum in der Öffentlichkeit blicken lassen und sich nur zweimal täglich zum Mueri-Haus geschlichen und sobald Kundalimon sein Essen erhalten hatte, war sie wieder in ihr Zimmer gekrochen. An mehreren Tagen war sie erst gar nicht selbst gegangen, sondern hatte es einem Wachmann überlassen, den ‚Staatsgast’ zu füttern. Yissou allein mochte wissen, was sie dem Armen dabei vorsetzten. Die meiste Zeit blieb Nialli für sich, meditierte, brütete, wiederholte sich im Geiste immer und immer wieder neu, was sie vor der Versammlung gesagt hatte, wünschte, daß sie die Hälfte oder mehr als das zurücknehmen könnte. Dabei war es doch aber von solch großer Wichtigkeit für sie gewesen, endlich einmal laut Stellung zu beziehen: Dieses ganze üble Gerede anzuprangern… Von den Hjjks als Ungeziefer, den Hjjks als kaltblütigen Killern, den Hjjks dies, den Hjjks das… Dabei wußten sie nichts, gar nichts. Also hatte sie sprechen müssen. Aber seither fühlte sie sich gereizt und als hätte sie sich irgendwie entblößt. Aber erst jetzt wurde ihr bewußt, daß ja kaum eine

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