Der neunte Buddha - Thriller
zu sagen, ist es ebenso gut möglich, dass Tsewong die Nachricht Mishig selbst überbracht hat. Es ist entweder das eine oder das andere, glauben Sie mir.«
Nachdem Cormac das gesagt hatte, breitete sich tiefes Schweigen im Raum aus. Christopher hatte es den Atem verschlagen.
»Carpenter? Wieso der? Was für ein Motiv sollte ein Mann wie er haben, eine Nachricht von jemandem weiterzugeben, den er bestenfalls für einen Teufelsanbeter hielt?«
»Ein Motiv? Das Johnny Carpenter haben soll? Guter Gott, da geht die ganze Nacht drauf, wenn wir erst einmal anfangen, über Motive zu sprechen.«
»Als da sind?«
Darauf antwortete Cormac nicht sofort. Vielleicht war es nun an ihm, misstrauisch zu werden. Christopher spürte, dass er bei dem Arzt etwas in Gang gesetzt hatte, das der zu bedauern begann.
»Lassen Sie uns an einem anderem Ende anfangen«, sagte Cormac schließlich. »Offiziell ist Tsewong an Erschöpfung gestorben. Ich habe den Totenschein selbst ausgestellt. Ein Exemplar liegt im Register der Geburts- und Sterbefälle desBezirks Kalimpong. Der Mann hieß Hughes, war Waliser aus Neath. Wir sind lauter Kelten hier. In Wirklichkeit ist Tsewong nicht an Erschöpfung gestorben. Können Sie mir folgen?«
»Woran denn dann?«, fragte Christopher. Er stellte fest, dass Cormac weiter seinem Whiskey zusprach.
»Er hat sich das Leben genommen.«
»Das kann doch nicht sein.«
»Warum nicht?« Cormacs Stimme war jetzt sanft, fast traurig. Er hatte den toten Mann gesehen, sein Gesicht, seine Haut berührt. »Meinen Sie, ein buddhistischer Mönch kann nicht Hand an sich legen? Für manche von ihnen ist das ganze Leben ein langsames Sterben. Es gibt Männer in Tibet, die lassen sich in einer Felsenhöhle einmauern, und es bleibt nur ein kleines Loch, um das Essen hinein- und die Scheiße herauszubefördern. Wussten Sie das nicht? Es sind lebende Tote. Sie können dort viele Jahre verbringen. So einer geht als junger Mann hinein und wird als Leiche herausgetragen. Abgesehen davon ist ihr Leben ohnehin sehr hart. Auch sie haben Frustrationen, Versuchungen, dunkle Stunden. Eine gelbe Robe schützt nicht vor menschlichen Regungen.«
Keiner der beiden sagte etwas. Wachs tropfte still von der Kerze. Die Flamme flackerte und richtet sich wieder auf.
»Wie hat er es getan?«, fragte Christopher schließlich.
»Er hat sich aufgehängt. Carpenter sagt, er hat ihn gefunden, wie er da in seinem Zimmer hing. Er hat seine Gürtelschnur benutzt. An der Decke gab es einen Haken. Es war ein Raum auf dem Boden, wo sie ihr altes Gerümpel aufbewahren. Dort hat er es getan.«
Christopher erschauerte.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er dann. »Ich verstehe nicht, wie jemand so etwas tun kann. Sich selbst das Leben nehmen. Mord ist mir begreiflich, aber Selbstmord nicht.«
Cormac warf Christopher einen Blick zu. Der war so voller Trauer, dass nicht einmal der Whiskey es verbergen konnte.
»Sie sind ein glücklicher Mann«, sagte er. Dann schwieg er wieder. Auf den Straßen liefen die Hunde herum. Oder war es nur ein einzelnes Tier, das durch die Stille tappte?
Mit einer weiteren Frage unterbrach Christopher das Schweigen.
»Warum mag er sich wohl umgebracht haben? Wissen Sie das?«
Cormac schüttelte den Kopf.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich denke, John Carpenter kennt den Grund, aber er wird ihn ganz bestimmt für sich behalten. Ein, zwei Vermutungen habe ich allerdings.«
»Vermutungen?«
»Ich denke, Tsewong hatte Probleme. Vielleicht waren sie ernster Natur, vielleicht schien es ihm nur so. Das kann ich nicht sagen. Aber Probleme hatte er, daran besteht kein Zweifel.«
Der Arzt überlegte einen Moment und fuhr dann fort:
»Erstens glaube ich, dass er kein Buddhist war. Zumindest nicht mehr. Ich könnte wetten, er war ein christlicher Konvertit.«
Überrascht schaute Christopher den Iren an.
»Wie denn das? Er war Tibeter. Es gibt keine tibetischen Christen. Er trug die Robe eines buddhistischen Mönchs. Und er war tot. Woher wollen Sie wissen, dass er Christ war?«
Cormac stärkte sich noch einmal mit seinem scharfen Whiskey, bevor er weitersprach.
»Dazu gibt es mehreres zu sagen. Ich habe den Leichnam zur Untersuchung ins Krankenhaus bringen lassen. Als ich ihn auszog, achtete ich streng darauf, dass nichts verloren ging, denn ich wusste, dass ich alle Sachen zusammen mitdem Toten an Norbhu übergeben musste. Dabei habe ich in der Innentasche seines Gewandes den Brief, die Notiz, ein Gebetbuch, ein Amulett
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