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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wenig.«
    Das ließ mich an mein Zimmer in der Pension denken und an meinen Widerwillen beim Erwachen heute früh. Auf geheimnisvolle Weise brachte das meine Entschlusskraft wieder auf Touren. »Nicht nötig«, sagte ich. »Ich nehme sie.«
    »Wusste ich’s doch«, meinte die Maklerin. Dann fuhren wir zurück und erledigten die Formalitäten.
    Ich verließ ihr Büro kurz nach zwei, den Vertrag und die Schlüssel in der Tasche, aß eine Kleinigkeit bei einem Bäcker und fuhr dann nach Sundbyberg hinaus. Unterwegs kaufte ich einen großen Strauß Blumen, so groß, dass selbst die Blumenhändlerin mit Neid in den Augen fragte: »Für wen ist denn der?«, und als ich die letzten Treppenstufen zu Birgittas Wohnung hinaufstieg (um des größeren Überraschungseffekts willen öffnete ich die Haustüre mit einem Dietrich), hatte ich mir meine einleitenden Worte zurechtgelegt. »Birgitta«, würde ich sagen, »ich muss dir Abbitte leisten. Du hattest Recht, und ich hatte Unrecht. Die Welt ist zwar in mancher Hinsicht schlecht, aber sie ist bei weitem nicht so schlecht, wie meine Phantasie sie gemacht hat.« Das, fand ich, klang gut. Von da konnte man überleiten zu einer Entschuldigung und allem möglichen anderen.
    Ich klingelte und stellte mich so hin, dass man vom Türspion aus hauptsächlich den Strauß sah.
    Hastige Schritte hinter der Tür. Jemand klapperte mit dem Hörer der Gegensprechanlage, dann wurde die Tür aufgerissen.
    »Du?«, rief Birgitta aus. Sie hatte verheulte Augen und würdigte das Blumenmeer in meiner Hand keines Blickes. »Das ist ja unheimlich. Gerade habe ich an dich denken müssen.«
    »Oh«, meinte ich verdutzt, »schön.«
    »Nein, nicht schön«, schniefte sie. »Es ist alles furchtbar.«
    Sie packte mich am Ärmel. »Komm rein.«
    Ich ließ mich bereitwillig über die Schwelle ziehen. Sie trug nur Strumpfhosen und ein verwaschenes Hemd, das ihr zu groß war, und überließ es mir, die Tür zu schließen. War sie schwanger? Hatte sie einen positiven AIDS-Test? Probleme mit ihrem Ex-Mann?
    »Hier«, sagte ich, als ich sie eingeholt hatte, und reichte ihr die Blumen. »Die sind für dich.«
    Sie verzog das Gesicht. »Schön.« Es klang wie: Auch das noch. »Tu sie irgendwohin.«
    In Anbetracht der Tatsache, dass ich ihr ungefähr doppelt so viele Blumen gekauft hatte wie allen Frauen in meinem bisherigen Leben zusammengenommen, war ich doch etwas konsterniert, dass ich mich nun auch noch selbst darum kümmern musste. Ich fand eine Vase unter der Spüle, in der der Strauß mit Mühe Platz hatte, füllte sie mit Wasser und trug das ganze Arrangement schließlich ins Wohnzimmer, wo Birgitta sich, von Bergen verweinter Taschentücher umgeben, auf der Couch in eine Decke gehüllt hatte.
    »Also«, sagte ich und setzte mich in den Sessel gegenüber, »was ist los?«
    Sie zog die Decke bis zum Kinn hoch. »Habe ich dir erzählt, dass ich Kristinas Klasse vor vier Wochen auch in Schwedisch übernehmen musste …?«
    Ich nickte. »Wegen der Kollegin im Mutterschaftsurlaub. Hast du erzählt.«
    »Ja? Ich war mir nicht mehr sicher. Jedenfalls, die Kuh … Entschuldige, aber sie ist wirklich eine dumme Kuh. Sie hat mir praktisch die ganze Arbeit hinterlassen. Sie hat in diesem Schuljahr keinen einzigen Aufsatz korrigiert, kannst du dir das vorstellen? Das musste alles ich machen.« Sie streckte die Hand nach einem neuen Taschentuch aus und schnäuzte sich. »Entschuldige, dass ich dich hier so vollheule. Es ist nicht wegen der Arbeit, weißt du. Es war, weil doch auch Kristinas Aufsätze in dem Stapel waren. Erst habe ich mir gesagt, ich lasse sie bis zum Schluss liegen oder korrigiere sie überhaupt nicht. Jedenfalls nicht, bevor ich nicht weiß, was mit Kristina ist …« Sie schniefte. »Ich habe gestern die Nobelfeier angeschaut. Mache ich sonst nie, aber als ich diese Spanierin gesehen habe, da konnte ich nicht anders; ich musste Kristinas Heft hervorholen und durchlesen, und dann habe ich es eben doch korrigiert. Ich meine, es ist nichts Großartiges, zwei Bildbeschreibungen, was die meisten Kinder langweilig finden … Aber ich musste an sie denken, was sie wohl durchmacht, ob sie überhaupt noch lebt …«
    Ich hob die Hand. »Warte. Lass mich erst erzählen.«
    Und ich erzählte haarklein, was passiert war. Als ich fertig war, saß Birgitta wie zur Salzsäule erstarrt da, mit Augen groß wie Untertassen.
    »Infam«, flüsterte sie. »Einfach … infam. Unglaublich. Ich weiß nicht, wer von euch

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