Der Nobelpreis
für das, was noch kommen mochte.
»Es hat alles mit dem Unfall von Mailand zu tun, nicht wahr?«, vergewisserte Hans-Olof sich ahnungsvoll. »Die drei standen auch auf der Lohnliste.«
Bosse nickte. »Eine Woche vor der Abstimmung fehlte auf einmal genau eine sichere Stimme.«
Gerade noch rechtzeitig fiel Hans-Olof ein, dass er auch Bosse gegenüber den Schein wahren musste. Er durfte sich niemandem anvertrauen, war um seiner Tochter willen gezwungen, mit einem furchtbaren Geheimnis umherzugehen. »Geld regiert die Welt, oder?«, sagte er in dem schwachen Versuch, das Gespräch zu einem möglichst raschen Ende zu bringen.
»Jetzt hat es uns also auch erwischt.«
Sein untersetzter Kollege schien aufzuatmen, dass er es nicht schwerer nahm. »Das ist der Lauf der Dinge. Zwecklos, sich dagegen stellen zu wollen.«
»Ja«, nickte Hans-Olof. »Zwecklos. Da hast du Recht.«
»Wir sollten trotzdem einen trinken gehen«, versuchte es Bosse noch einmal. »Am besten noch vor meinem Urlaub.«
Bosse Nordin nahm wie jedes Jahr seinen Urlaub so, dass er erst kurz vor der Nobelfeier zurückkam.
Hans-Olof winkte ab. »Lass mir ein bisschen Zeit, das alles zu verdauen.« Da er deutlich spürte, dass Bosse Nordin damit nicht zufrieden zu stellen war, schlug er vor, den gemeinsamen Abend auf die Zeit nach der Nobelwoche zu verschieben, und mit dieser Vereinbarung war sein Gegenüber endlich einverstanden, sodass sie nach ein paar weiteren Minuten belanglosen Plauderns ihrer Wege gehen konnten.
KAPITEL 13
So schockierend Bosses Eröffnungen im ersten Moment gewesen waren, im Grunde bestätigten sie nur, was Hans-Olof seit der Abstimmung, seit dem Auftauchen des Mannes mit den weit auseinander stehenden Augen geahnt hatte: Das Karolinska-Institut war schon längst nicht mehr das von der Schlechtigkeit der Welt unberührte Shangri-La, für das er es gehalten hatte, hatte halten wollen. Die Unschuld war verloren, und unter normalen Umständen wäre das etwas gewesen, um das er getrauert hätte. Doch die Umstände waren nicht normal.
Die Tage verstrichen, reihten sich zu Wochen, und der Oktober verging. Tagsüber arbeitete Hans-Olof mit der stetig zunehmenden Besessenheit eines Menschen, der in seiner Arbeit die Probleme seines übrigen Lebens zu vergessen sucht, abends und an Wochenenden belauerte er das Telefon. Die Minuten, die er hin und wieder mit Kristina sprechen durfte, waren die einzigen Momente, in denen das Gefühl der Bedrückung ein wenig nachließ. Es ging ihr gut. Sie bekam zu essen und zu trinken und regelmäßig frische Wäsche, hatte eine eigene Toilette und Dusche zur Verfügung, zahlreiche Bücher und einen Cassettenrecorder mit Musik, und ihre Bewacher waren Profis, die sich niemals ohne schwarze Kapuze sehen ließen. An diese Hoffnung klammerte sich Hans-Olof: dass er es mit Profis zu tun hatte, die einfach ihren Job machten, und zwar so gut, dass es nicht nötig sein würde, eine Zeugin zu beseitigen.
Doch eine Entführung ist eine psychische Ausnahmesituation ohnegleichen für das Opfer, und je länger sie dauert, desto gravierender sind die seelischen Auswirkungen. Hans-Olof bemerkte Veränderungen in dem, was Kristina erzählte, und in dem Ton, in dem sie es tat, unmerklich zunächst, doch nach und nach immer deutlicher werdend. Sie hatte sich nicht nur mit ihrer Lage abgefunden, sondern fing an, sich regelrecht damit anzufreunden. Sie berichtete, einer der Männer habe ihr, nachdem sie darum gebeten hatte, eine Cassette mit Stücken ihrer Lieblingsband besorgt – Hans-Olof war außerstande, den Namen der Band auch nur zu verstehen, geschweige denn, ihn sich zu merken. Sie erzählte von Gedanken, die sie sich über die Situation der Männer gemacht hatte, die sie bewachten, und die Probleme, mit denen diese zu tun haben mochten. Relativ bald verwendete sie nicht mehr das Wort »bewachen«, sondern sprach davon, dass die Männer »sich um sie kümmerten«. Und schließlich fing sie an, »wir« zu sagen. »Wir haben es zurzeit nachts kalt«, berichtete sie zum Beispiel, und Hans-Olof bekam Gänsehaut.
Würde er, wenn er Kristina wiederbekam, auch seine Tochter wiederbekommen?
Er hatte schon von diesem Phänomen gehört, sodass er Näheres darüber nachlesen konnte. Ironischerweise war es in der Welt der Psychologie bekannt unter der Bezeichnung » Stockholm-Syndrom « , benannt nach Beobachtungen, die man 1973 an vier Geiseln gemacht hatte, die während eines Überfalls auf die Sverige Kreditbanken in
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