Der Nobelpreis
anfangen konnte, sich zu wundern, wieso er es vor der Nase hatte. So dicht wie der auffuhr! Unmöglich, sein Nummernschild zu lesen.
Da. Der Mann griff wieder nach dem Mobiltelefon, wählte, redete. Anstatt endlich zu überholen! Der St. Eriksplan kam näher, eine große Kreuzung, aber der andere hinter ihm blinkte nicht, wollte wohl auch geradeaus.
Hans-Olof überquerte die Odengatan, ein Auge auf einem etwas unbeholfen dahinstrampelnden Fahrradfahrer. Dass der Mann mit den fischigen Augen hinter ihm im letzten Moment den linken Blinker gesetzt und Richtung Kungsholmen abgebogen war, bemerkte er erst, als es zu spät war. Wütend versetzte er seinem Lenkrad einen Schlag und wunderte sich, was er noch alles an Flüchen aus seiner Jugendzeit kannte.
An diesem Abend kam kein Anruf. Hans-Olof saß bis in die Nacht hinein auf dem Sofa, betrachtete abwechselnd das Telefon und die Visitenkarte des Journalisten, die er vor sich auf die Tischkante gelegt hatte, und dachte nach.
Die Entführer hatten alles in ihrer Macht Stehende getan, um Aufsehen zu vermeiden. Nichts sollte darauf hindeuten, dass etwas nicht so war, wie es zu sein schien. Wie es zu sein hatte. Ihr Druckmittel war Kristina. Solange sie sie in ihrer Gewalt hatten, würde er alles tun, was sie wollten.
Zumindest, solange er damit rechnen konnte, sie gesund und wohlbehalten zurückzubekommen.
Doch würde er das? Würde er Kristina so zurückbekommen, wie er sie kannte? Bis heute hatte er geglaubt, keine andere Wahl zu haben, als das Spiel der Entführer mitzuspielen, aber vielleicht war das ein Irrtum. Vielleicht hatte er eine Wahl. Die Erinnerung an den Journalisten hatte ihn auf den Gedanken gebracht, dass ein anderer Weg – womöglich sogar der einzige, der Kristina wirklich retten konnte – der sein mochte, öffentliches Aufsehen zu erregen.
Wenn bekannt wurde – landesweit, weltweit, über Zeitungen und Fernsehen –, dass der Rütlipharm-Konzern den Nobelpreis für einen seiner Forscher gekauft hatte, ja, dass er nicht einmal davor zurückgeschreckt war, ein vierzehnjähriges Mädchen entführen zu lassen, um die Stimme ihres Vaters zu erpressen – dann würden die Verantwortlichen nicht anders können, als Kristina wieder herauszugeben, als sich zu stellen, den Schaden zu begrenzen, das Äußerste zu verhindern. Wenn die Wahrheit publik wurde, war das Spiel verloren. Dann würde Frau Professor Sofía Hernández Cruz am zehnten Dezember keinen Nobelpreis überreicht bekommen, egal was geschah.
Vielleicht würde es danach nie wieder einen Nobelpreis geben. Doch das war dann nicht mehr wichtig. Kristina war wichtig, nichts sonst.
Hans-Olof griff nach dem Hörer und ließ ihn sofort wieder los. Nicht von hier aus. Er wusste nicht, ob sie ihn abhörten. Wahrscheinlich taten sie das. Er an ihrer Stelle hätte es jedenfalls getan.
Stattdessen stand er auf, zog Mantel und Schuhe an, nahm die Autoschlüssel und verließ das Haus. Er fuhr ein wenig durch die verlassen daliegenden Straßen des Wohngebiets, bis er glauben konnte, dass ihm niemand folgte. Dann hielt er an einer Telefonzelle, die auf einer kleinen Anhöhe stand, sodass man von ihr aus in alle Richtungen sah.
Er studierte die sechs Telefonnummern, die sich auf der Visitenkarte drängten: ein Anschluss in der Redaktion, eine Telefaxnummer dort, eine Mobiltelefonnummer, eine weitere Nummer mit der Vorwahl von Malmö und schließlich je eine private Telefon-und Faxnummer. Hans-Olof entschied sich für die Privatnummer, was anscheinend eine gute Wahl war, denn Bengt Nilsson meldete sich, als habe er neben dem Apparat gewartet.
»Andersson«, sagte Hans-Olof. »Erinnern Sie sich an mich?«
Der Journalist stieß einen unbestimmten Laut aus. »Professor Andersson? Selbstverständlich erinnere ich mich. Was verschafft mir die Ehre so spät am Abend?«
»Ich will Ihnen etwas erzählen.«
»Nicht am Telefon, vermute ich?«
»Nein. Nicht am Telefon.«
»In Ordnung. Lassen Sie mich überlegen.« Dazu brauchte der Journalist nicht lange. »Kennen Sie das TAROT? «
»Nein.«
»Ein gutes Lokal in Gamla Stan. In der Nähe des Stortorget. Sie finden es sicher.«
»Gut. Wann?«
»Morgen Mittag um zwölf. Ich reserviere einen Tisch, an dem uns niemand zuhören kann. Die Besitzer sind gute Freunde von mir. Sagen Sie, dass Sie mit Bengt verabredet sind, dann weiß man Bescheid.«
»In Ordnung. Ich werde da sein.«
Hans-Olof hängte den Hörer mit dem unbestimmten Gefühl ein, Dinge losgetreten zu
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