Der normale Wahnsinn - Roman
Ali hat ihn bereits erreicht. Sie sieht ihm direkt in die Augen, und er ist vor Schreck wie erstarrt. »Sag mal, verschafft dir das eigentlich eine Art perversen Kick, oder was?«, verlangt sie von ihm zu wissen.
»Ali, bitte, nicht jetzt. Das ist nicht der rechte Zeitpunkt dafür«, sage ich, als ich die kleine Gruppe erreiche.
Ich lege ihr einen Arm um die Schulter und versuche, sie wegzuziehen, doch sie macht sich unwirsch frei. Ohne den Blick von Marco abzuwenden, sagt sie: »Was zum Teufel machst du hier? Was hast du auf der Beerdigung meines Mannes zu suchen, du kranker Bastard?«
Marco klappt die Kinnlade runter, doch kein Wort kommt über seine Lippen.
»Bitte, Ali«, versuche ich es erneut. »Er ist in Begleitung von –«
»Nein, Siobhan, das wird hier und jetzt geklärt, basta.«
»Was ist denn hier los?«, fragt eine weitere Stimme.
Ich drehe mich um und entdecke Kate, die direkt neben mir aufgetaucht ist. Super, Dom, tolle Arbeit, denke ich. Jetzt sind wir alle erledigt. Ali wirkt ein wenig überrascht, dass Kate hier aufgetaucht ist, aber es scheint sie nicht davon abzuhalten, jetzt erst richtig aufzudrehen. »Um was es geht? Nun, dein Ehemann hier verfolgt meine Angestellte auf Schritt und Tritt, wenn du’s genau wissen willst«, sagt sie zu Kate und legt beschützend einen Arm um Michele.
»Was redest du denn da?«, fragt Kate. Offenbar ist sie wirklich völlig ahnungslos. Marco hat in Sachen Geheimhaltung wahrlich ganze Arbeit geleistet.
»Seit Monaten stellt er ihr nach«, sagt Ali. »Hat wochenlang vor meinem Laden herumgehangen und sie in einer Tour angestarrt. Ich denke, du solltest erfahren, was für ein perverser Stalker er ist.«
Kate wendet sich an Marco. »Ist das wahr?«
»Nein … ich … Nein! «, sagt er mehr oder weniger nachdrücklich – so nachdrücklich, wie es ihm eben möglich ist.
»Ach, hör doch auf«, zischt Ali. »Du bist ihr doch bis ins Eisstadion gefolgt an dem Tag, als ihre Freundin ermordet wurde. Warum sonst hätte dich die Polizei vorladen sollen, hm?«
Kate wird leichenblass. »Marco, sag mir endlich, was hier los ist. Rede mit mir.«
»Das ist nicht wahr … Ich hab nicht … Ich hab sie nicht verfolgt«, stottert er.
»Das ist eine freche Lüge«, entfährt es Ali. »Tut mir leid, Kate, aber dein Mann scheint irgendwie krankhaft von Michele besessen zu sein. Ich denke, das solltest du wissen.«
»Jesus, Marco«, keucht Kate. »Jesus verdammt noch mal Christus! Sie ist doch noch ein Kind!«
Marco : »Aber um sie ging es doch gar nicht«, sage ich.
»Ach? Und um was ging es dann?«, verlangt Kate zu wissen.
Wissen Sie, ich hab im Krematorium gebetet. Gebetet, gebetet und gebetet. Warum um alles in der Welt hast du mich hierher geführt? , hab ich gefragt. Warum? Jetzt weiß ich’s.
»Es geht nicht um sie … Es geht um … Es ist wegen …«
Alle starren mich erwartungsvoll an.
»Es geht um Ali … Ich liebe … Ali.«
Siobhan : Das hab ich mir doch gleich gedacht.
Siobhan : Wie wohl die Totenwache verlaufen wird nach diesem kleinen Geständnis? Wenigstens werden Kate und Marco beim Essen nicht mehr dabei sein. Kate hat ihren Mann in Windeseile hier weggeschafft. Ich vermute, sie veranstaltet mit ihm gerade ihren ganz persönlichen Leichenschmaus. Vermutlich ist danach nicht mehr genug übrig von Marco, um ihn in einem Stück aufzubahren.
Dom und ich sitzen im Wagen und fahren zurück zu Alis Haus. Den ganzen Morgen war ich dort und hab Sandwiches und Snacks zubereitet und eine ganze Wagenladung Frischhaltefolie dabei verbraucht. Wir folgen einem großen, schwarzen Daimler – in dem sitzt Ali mit ihrer Mutter und der Familie ihres verstorbenen Mannes. Michele sitzt bei uns im Auto. Eigentlich wollte sie den Bus nehmen, aber das hab ich nicht zugelassen. Das arme Mädchen ist noch immer fix und fertig. Schweigend fahren wir dahin. Dom hat das Ende des Eklats noch mitbekommen, und ich bin mir sicher, er würde zu gern ein paar ätzende Bemerkungen dazu abgeben, aber selbst er weiß, wann Schluss ist mit lustig.
Ein Handy beginnt zu klingeln; irgendein fetziger Klingelton aus den Charts. Das kann weder meins noch Doms Telefon sein. Michele fummelt in ihrer Tasche herum und beantwortet den Anruf. Ich tue so, als ob ich nicht hinhöre, aber natürlich höre ich hin. Nicht, dass ich irgendwas Interessantes aufschnappen würde. Wer immer da am anderen Ende ist, er übernimmt das Reden ganz allein.
Michele beendet das Telefonat und
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