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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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darüber.
     
    Als Krister gegen ein Uhr nach Hause kam, schliefen die Mädchen, nur Irene war noch wach. Nachdem sie von Jennys Sorgen erzählt hatte und von dem anscheinend bevorstehenden Ende ihrer Skinheadperiode, versuchte sie ihren Mann zu verführen. Aber er war zu müde und überhaupt nicht bei der Sache. Der Weihnachtsstress in den Restaurants der Stadt hatte eingesetzt. Er nahm nur ihre Hand und schlief fast auf der Stelle ein. Noch lange lag Irene wach, ihre Gedanken drehten sich um Skinheads, Millionäre, Bomben, Mörder, MC-Gangster, sexuelle Beziehungen zwischen Leuten, die solche eigentlich nicht haben sollten, und sexuelle Beziehungen zwischen Leuten, die solche haben sollten.
    Aus reiner Erschöpfung schlief sie ein, bis das Weinen sie weckte. Aber sie hatte wohl geträumt. Niemand im Haus weinte.
    In der ganzen Stadt war kein freier Parkplatz zu finden. Schließlich fuhr Irene also zum Präsidium und stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab. Jenny und Katarina waren ganz aufgeregt und voller Erwartungen. Es fiel ihnen nicht leicht, ihre ganze Teenagerwürde aufrechtzuerhalten, wo doch das kleine Kind in ihnen darauf drängte, an die Oberfläche zu kommen. Jenny hatte sich eine knallrote Schornsteinfegerkappe über die Ohren gezogen. Nicht nur, um ihren kahlen Kopf zu verbergen, sondern auch, weil es wirklich kalt war. Zwar nur einige Minusgrade, aber es wehte ein kalter Wind. Und dann wird Göteborg zur Antarktis. Irene und die Zwillinge eilten auf die Geschäftsviertel der Innenstadt zu, um ihren Kreislauf in Gang zu halten.
    Über der Fußgängerzone hingen Girlanden mit Lampen und Sternen. Die großen Bäume im Brunnspark und entlang der Östra Hamngatan funkelten von hunderten von kleinen Lämpchen, die um die blattlosen Zweige gewickelt waren. Aber nur wenige Menschen schauten zu den Baumkronen hoch. Die meisten drückten ihr Kinn in den Kragen und duckten sich gegen den Wind. Alle wollten so schnell wie möglich in die angenehme Wärme, und die Geschäftsleute rieben sich die Hände. Genau das wollten sie schließlich auch.
    Die Mädchen sprangen in eine Kleiderboutique nach der anderen. Irene schaute sich einige Jacken an, aber allein der Blick auf die Preisschilder ließ sie den Beschluss fassen, doch lieber bis zum Frühling zu warten. Jetzt würde sie sowieso die nächsten Monate nur ihre Winterjacke tragen. Frühlings- und Herbstjacke konnten warten. Aber sie vermisste ihre Popelinejacke.
    »Guck mal, Mama. Ist das nicht geil?«
    Katarinas begeisterte Stimme, als sie wie ein Mannequin aus der Ankleidekabine trat, in einem knallorangen Pullover, der über dem Bauchnabel aufhörte und einer moosgrünen Hose mit ausgestellten Beinen, weckte Irene aus ihren Gedanken. Zuerst starrte sie ihre Tochter nur an, aber dann konnte sie nicht anders, sie brach in schallendes Lachen aus. Katarina wurde wütend und zischte: »Was lachst du so dumm? Das ist modern! Versuch lieber mal, mehr auf dem Laufenden zu sein, he!«
    Jenny war ganz ihrer Meinung und schaute herablassend auf ihre fossile Mutter: »Das ist die neueste Mode, du.«
    Irene versuchte sich zu beruhigen.
    »Entschuldigt mich, aber ich musste nur so lachen, weil ich mich selbst wieder erkannt habe. Genauso sah ich aus, als ich in eurem Alter war.«
    Beide Töchter betrachteten sie ungläubig und warfen sich einen genervten Blick zu. Es war schließlich schon schwer genug zu glauben, dass ihre Mutter jemals in ihrem Alter gewesen war. Wie alle Weihnachtsflaneure und Geschenkekäufer landeten sie zum Schluss im NK. Irene war müde und wollte eine Tasse Kaffee trinken, aber die Mädchen bestanden darauf, zuerst im Kaufhaus herumzuschauen. Seufzend und unter schwachem Protest gab Irene nach. Wenn die Mädchen sich einig waren, war sie in der Minderheit. Das ganze Licht und der Glitzer sogen ihr langsam die Kraft aus den Knochen. Und die vielen Weihnachtsmänner. Wohin man auch schaute, stand ein Weihnachtsmann. Kleine Weihnachtsmänner, Riesenweihnachtsmänner, künstliche Weihnachtsmänner und lebendige Weihnachtsmänner. Einer erschreckte sie fast zu Tode, als er sich plötzlich vorbeugte, ihren Arm berührte und sie fragte, ob sie nicht für ihren »lieben Schatz daheim« einen neuen Rasierapparat kaufen wollte.
    Müde und erschöpft fuhr Irene auf der Rolltreppe zum zweiten Stock hoch. Über ihren Köpfen schwebten sich langsam drehende Tannenbäume. Die Halogenlampen ließen sie funkeln und glitzern. Einer war ganz mit Silberrosetten

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