Der Novembermörder
verziert, ein anderer mit Goldherzen, ein dritter mit silbernen Tannenzapfen, ein vierter mit Goldkugeln … Gold und Silber glänzte und stach ihr unbarmherzig in die Augen. Gold und Silber. Silber. Wie glänzende Sardinen in der Büchse. Wie glänzende …
»Mama! Nimm die Füße hoch!«
Der Ruf kam von Katarina. Die Mädchen standen hinter ihr und sahen das Unglück kommen. Aber es war zu spät. Am Ende der Rolltreppe angekommen, fiel sie auf die Nase. Die Tüte mit den gerade erstandenen Hosen und Strümpfen kippte ihren Inhalt aus, aber Jenny sammelte schnell alles wieder auf. Katarina war das Ganze schrecklich peinlich, am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Musste ihre Mutter sich so danebenbenehmen? Alle Müdigkeit war wie weggeblasen. Schnell stand Irene auf, sammelte ihre Kinder, ihre sieben Sachen und ihre ganze Würde wieder zusammen. Eifrig rief sie: »Schnell! Ich muss telefonieren!«
»Hast du dir wehgetan? Brauchst du einen Krankenwagen, oder was ist los?«
»Nein, nein. Aber mir ist etwas eingefallen.«
»Hast du denn dein Handy nicht mit?«
»Nein, das habe ich nicht dabei.«
Sie machten eine Kehrtwendung und nahmen die Rolltreppe nach unten. Im Erdgeschoss fand Irene eine nette Cafeteria und einen Telefonautomaten. Die Mädchen wurden an einem Tisch geparkt, jede mit Kakao und Schlagsahne und Lucia-Kuchen versehen.
Irene wühlte in ihren Taschen nach dem Zettel mit der Telefonnummer, fand ihn schließlich und tippte die Nummer ein.
»Sylvia von Knecht.«
»Guten Tag, entschuldigen Sie, dass ich störe. Hier ist Inspektorin Irene Huss.«
»Was wollen Sie denn nun schon wieder!«
Es wäre gelogen zu behaupten, dass eine gewisse Wärme durch die Leitung strömte. Aber das war auch nicht notwendig. Jetzt ging es nur darum, Sylvia nicht in schlechte Laune zu versetzen. Wozu Irene leider eine unglückselige Tendenz besaß. Aber in dem freundlichsten Tonfall, den sie anschlagen konnte, sagte Irene: »Es hat sich etwas herausgestellt, was ich überprüfen müsste. Es dauert aber noch fünf Minuten.«
»Na, dann überprüfen Sie doch!«
Irene verlor die Fassung, begriff dann aber, was Sylvia meinte.
»Nein, nein, das geht nicht per Telefon. Ich müsste noch einmal zu Ihnen kommen und mit Ihnen persönlich sprechen. Es ist äußerst wichtig, falls sich herausstellen sollte, dass es stimmt«, sagte sie beharrlich.
Eine ganze Weile kam keine Antwort.
»Wann wollten Sie denn kommen?«
»Passt es um drei?«
»Ja.«
Klick. Überredet, wie immer. Und falls ihre Idee sich wirklich als der Knackpunkt herausstellen sollte, der wie ein Licht im schwarzen Nichts aufleuchtete? Dann würden es jedenfalls anstrengende fünf Minuten für Sylvia werden.
Kurz vor drei waren sie zurück am Auto. Allen dreien taten die Füße weh, aber sie waren zufrieden mit ihren Einkäufen und dem Tag. Es gab wieder einmal keinen Zweifel mehr: Auch dieses Jahr sollte es Weihnachten werden. Irene startete den Wagen, und erst danach erzählte sie den Mädchen, dass sie noch bei jemandem vorbeischauen musste. Aber es war direkt auf dem Heimweg. Die Mädchen protestierten, versprachen aber schließlich, im Auto zu warten. Irene stellte den Wagen am Kapellplats ab, damit sie dort in die Schaufenster gucken konnten. Doch es machte ihnen keinen Spaß mehr, weil die Geschäfte jetzt geschlossen waren, außer dem Konsum und der Konditorei. Und nach NK waren alle anderen Weihnachtsschaufenster nur noch eine Enttäuschung.
Arja öffnete ihr die Tür. Sie lächelte ihr warmes Lächeln, das aber schnell verebbte, als die scharfe Stimme ihrer Schwester aus der Wohnung zu hören war.
»Ist das diese Frau von der Polizei?«
Bevor Arja antworten konnte, rief Irene zurück: »Hier ist Inspektorin Irene Huss von der Mordkommission.«
Eine Unverschämtheit, sie als »diese Frau von der Polizei« zu bezeichnen! Zwar gab es nichts, was sich »Mordkommission« nannte, aber das wusste Sylvia von Knecht schließlich nicht. Es klang zumindest gut. Arja war jedenfalls beeindruckt, sie trat zur Seite, um Irene hereinzulassen. Ihre Hochachtung waren von ihrem leicht gerundeten Mund und ihren Augen abzulesen. Sylvia kam mit einem beleidigten Zug um den Mund aus der Küche. Sie musste sich verirrt haben, denn die Küche gehörte wohl kaum zu den Orten, an denen sie sich üblicherweise aufhielt. Irene musste an die jungfräulichen Küchengeräte über dem Herd denken. Und dabei an den leeren Haken, an dem ein Küchenbeil fehlte. Sie
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